Philippas Riesenportion Freude

This is my friend Philippa with her gelding Blakkur. The picture was taken by @klariii_ at the last clinic Saskia Gunzer gave at our place. We are happy to host her again this autumn! #longrein #icelandichorse

Philippa mit ihrem Herzenspferd Blakkur. Foto: Klara Freitag

 

Das da oben im Bild ist meine Freundin Philippa. Auf dem Bild ist sie bei einem Saskia-Gunzer-Kurs zu sehen, bei ihrer erster Übungseinheit mit Langzügeln. Strahlend.

Ich sehe Philippa entweder auf Ausritten oder auf den Kursen, die wir gemeinsam veranstalten. Bei letzterem wird immer viel fotografiert, und es kommen immer nur diese Arten von Bildern von Philippa dabei heraus: Innig mit ihren Pferden, oder über beide Ohren strahlend, oder hoch konzentriert. Aber selbst das hoch Konzentrierte sieht nicht verbissen aus. Ich kenne keinen anderen Menschen, der sich so sehr, auf stille, nicht aufgesetzte Art, über seine Pferde freut, während er mit ihnen arbeitet.

 

Kopfmonologe

Davon würde ich mir gern eine Scheibe abschneiden. Eine ganz dicke Scheibe. Ich bin jemand, der darauf bedacht ist, viel mit positiver Bestärkung beim Pferd zu arbeiten – Stimmlob, Zügel-Nachgeb-Lob, Finger-am-Widerrist-kurz-Kraulen-lassen. Aber, ich bin auch jemand, der sich gern über sich selbst beim Reiten ärgert. Ich werde dann nicht unfair, ich habe mich im Griff. Aber ich führe dann Kopfmonologe, so etwas wie „Mensch, das ging schon mal besser, das funktioniert jetzt bestimmt nicht, weil Du wieder rechts mehr belastest als links, so, konzentrier Dich mal, mehr Muskelspannung in Deinem Rumpf, komm, weiter!“ Und gleichzeitig weiß ich natürlich, dass das nicht gerade förderlich für das gute Reiten ist, sich selbst so einen Druck zu machen. Noch ein Grund, sich auch darüber zu ärgern, dass man es weiß und dennoch tut. Suuuuuper.

Happy that Saskia Gunzer will give a clinic at our place in autumn/ winter again! She teaches long rein work in an excellent way. If you' d like to have details, let me know. This seasons newsletter will send out on sunday! #autumn_is_for_learning

Saskia Gunzer, die hervorragend am Langzügel unterrichtet. Sie kommt im November, 19. und 20.11.2016, wieder zu uns, und wir freuen uns schon sehr! Wer mag: Kommt auch!

 

Letztens waren wir gemeinsam joggen, Philippa und ich, und ich habe gesagt, dass ich diese Eigenschaft sehr bewundere, und wollte wissen, wie sie das eigentlich macht. Ich würde mal behaupten, dass unsere Leben ziemlich ähnlich vollgepackt sind, es liegt jetzt nicht daran, dass der eine ein tiefenentspanntes Alltagsgeschäft hat, und der andere weitaus mehr busy ist.

 

„Ich habe mir das antrainiert“, sagte sie zu mir. Und zwar im ersten Schritt durch das positive Bestärken des Pferdes, das sich durch echte eigene Freude äußert. Das hat sie in Fortbildungen bei Bea Borelle gelernt. Diese achtet nämlich immer sehr darauf, dass das Pferd für jeden kleinen Schritt in die richtige Richtung sofort ein deutliches Lob erhält, ob verbal „Brav! So ein Guter!“, oder durch eine Pause, ein Leckerli oder durch ein Kraulen oder eben durch alles gemeinsam (das hat sie übrigens mit Saskia Gunzer gemeinsam, die kann auch gut loben!).

Da rauscht das Glück von einem zum anderen und aus dem Foto heraus! Das schönste Foto des Shootings vom Reitkurs - Philippa mit ihren Isländern Dryri und Blakkur. Foto: Thomas Rubel

Als ich Thomas, dem Fotografen, erzählte, wie wunderschön innig ich dieses Bild finde, sagte er: Ja, man sieht auf jedem Foto von Philippa ihre Einstellung zum Pferd. Hach. (und jetzt wird Philippa bestimmt rot. Ist aber alles wahr und nix gelogen oder übertrieben!). Foto: Thomas Rubel

 

Von Herzen

Dieses im Moment sein und sich über jede Kleinigkeit, die gelingt freuen, von Herzen, das hat Philippa nicht nur ihrem Pferd zugute kommen, sondern bleibt selbst auch in diesem Gefühl. „Es passiert nur noch ganz selten, dass ich unzufrieden aus einer Reitstunde oder einem Kurs herauskomme“, erzählt sie mir. Weil sie sich eben gedanklich nicht daran festkrallt, was jetzt wieder nicht funktioniert, sondern weil sie ohne Emotion herunterstuft, wenn etwas nicht gelingt. Und sich dann wieder auf dem Level, das an dem Tag aktuell ist, über kleine Fortschritte freuen kann.

 

Ich arbeite daran.

 

Ähm, uups, das klingt ja wieder so ernsthaft. Also,  ich werde das mal ganz locker das nächste Mal so machen. Grinsen, die Freude wachsen lassen und mich auch mal selbst loben für jeden kleinen Schritt, und nicht nur mein gutes Pferd. Manchmal klappt das ja auch erstaunlich gut. Vor allem dann, wenn ich so gar nichts erwarte. Hatte ich HIER mal drüber geschrieben.

 

Also, liebe Philippa, ich hätte gern ein Scheibchen Deiner emotionalen Konstanz. Kleinigkeit, nicht wahr?

Warum es keine gute Idee ist, wie Alizée reiten zu wollen

Alizée Froment im Sommer 2016 auf dem CHIO Aachen. Mit ihrem Hengst Mistral nach ihrer Paradenummer, bei der sie Grand-Prix-Lektionen auf Halsring zeigt. Foto: Klara Freitag

Alizée Froment im Sommer 2016 auf dem CHIO Aachen. Mit ihrem Hengst Mistral nach ihrer Paradenummer, bei der sie Grand-Prix-Lektionen auf Halsring zeigt. Foto: Klara Freitag

Wieviel Freiheit darf sein?

Alle Welt reitet plötzlich auf Halsring und montiert so viel wie möglich vom Pferdekopf ab. Alles gut und schön? Die Wahrheit ist wenig romantisch und das Wort Schmerz kommt bewusst darin vor. Warum ich manchmal Reiter in meinem Umfeld am liebsten schütteln würde, und was das mit Alizée, Kenzie und unschönen Platzwunden zu tun hat.

***

„Mama“, sagte das Kind, „wann kann ich reiten wie Alizée? Ohne Trense, ohne Halfter?“

„Wir waren draußen!“ sagte meine Reitbeteiligung, und schickte mir ein Bild. Das Pferd auf Halfter, sie stolz.

 

Ich möchte dann viele Sachen auf einmal tun. Menschen schütteln, meinen Kopf schütteln, nein rufen, sagen, das könnt ihr alles machen, wenn ihr erwachsen seid und auf eurem eigenen Pferd sitzt und völlig dafür alleine verantwortlich seid, was ihr für einen Mist anstellt.

Denn in meinem Kopf laufen dann Filme ab, die durchgehende Pferde, die sich vor irgendeinem Sonstwas, mit dem niemand gerechnet hat, fürchten. Reiter die runterfallen und Autos, die bremsen.

 

Letztens war es leider nicht nur Kopfkino. Eine gute Bekannte von mir kam wegen einer Platzwunde am Kopf ins Krankenhaus, weil ein Pferd sie umgerannt hatte. Das sie mit Halfter im Gelände führte. Ein Pferd, das als geländesicher gilt und gut erzogen ist, und bei dem niemand gedacht hätte, dass es sich mal so erschrecken könnte, dass so etwas passiert. Ihr Kopf war bis auf den Knochen auf. Zum Glück nur eine Fleischwunde.

 

Wäre das passiert, wenn sie auf Trense oder mit einem schärferem gebisslosen Zaum, als einem Stallhalfter, unterwegs gewesen wäre? Ich behaupte: es wäre zumindest unwahrscheinlicher gewesen.

Wenn ich mit den Pferden rausgehe, tragen sie Trensen – oder Knotenhalfter, oder einen Kappzaum (zugegeben, ich nehme meistens Trensen, aber das ist reiner Automatismus, ich finde diese drei Möglichkeiten alle gut). Und zwar, obwohl sowohl Fee als auch Onkel schrecksicher, geländesicher und verkehrssicher sind. Foto: Klara Freitag

 

Panik gegen Schmerz

Der Grund ist einfach: Panik gegen Schmerz.

Wenn ich einen Schmerzreiz setzen kann, habe ich eine Chance, in Momenten der Panik wahrgenommen zu werden.

Es ist die Frage, welcher Reiz in so einem Moment stärker gewesen wäre.

Unpopulär, so etwas zu sagen, ja. Denn wir aufgeklärten Pferdemenschen wollen ja alle eine Partnerschaft mit dem Pferd, feines Reiten, unsichtbare Kommunikation. Das Wort Schmerz ist da als Notanker nicht akzeptabel. Doch wenn ich damit das Risiko für aufgeplatzte Menschenköpfe und Verkehrsunfälle verringern kann, dann möchte ich genau das am Pferdekopf haben: ein Instrument, das im Notfall hilft.

Auch, wenn es mir ansonsten um feine Kommunikation geht. Und ich höre das Gegenargument schon jetzt: gegen 600 Kilo, die in Panik fortwollen, macht auch ein Gebiss nichts mehr. Das mag in vielen Fällen sogar stimmen. Doch es bleibt eben die Frage, welcher Reiz in so einem Panikmoment stärker ist: der Fluchtmechanismus oder der Schmerz. Es ist eine Chance da, und diese Chance gibt uns Menschen die Möglichkeit, heile Knochen zu behalten.

Manchmal habe ich das Gefühl, zu dem Wahn, alles vom Pferdekopf zu reißen, beigetragen zu haben. Weil ich sehr frühsehr gerne und sehr viel von dem Zauber berichtet habe, der entsteht, sobald Alizée Froment ihre Pferde nur auf Halsring reitet.

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Ein Bild aus meinem ersten Dressurkurs mit Alizée Froment, Februar 2015. Im Sattel sitzt Marita Schreiber, die sie als erste überhaupt nach Deutschland zu einem Kurs einlud. Foto: Jeannette Aretz

 

Es ist ja nicht nur sie, sondern es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die tolle Freiarbeit zeigen, die toll arbeiten ohne Sachen um den Pferdekopf. Tja, und nun möchten eben alle nacheifern.

 

Wir wollen alle eine kleine Alizée sein

Mindestens soll das Gebiss raus, am besten das ganze Zaumzeug ab. Weil wir ja freundlich zum Pferd sein wollen. Weil wir mit Bodenarbeit und Roundpen und Freiarbeit und haste-nich-gesehen ja so lange in die Beziehung investiert haben, dass wir ganz eng mit unserem Pferd sind. Weil wir unser Pferd kennen, und wissen, dass da nichts passiert.

Foto: Thomas Rubel

Alizée Froment bei uns daheim – sie gab im Frühjahr einen Dressurkurs und ritt ihre beiden Lusitanos sowohl mit, als auch ohne Kopfstück. Foto: Thomas Rubel

 

Weil wir alle eine kleine Kenzie oder eine kleine Alizée sein wollen.

 

Ich kann diese Sehnsucht so sehr verstehen.

 

Als wir den Lehrfilm zu Alizée gedreht haben, und sie zwei Meter vor mir Mistral ohne Zaum ritt, ihn voranschickte und nur mit dem Sitz wieder einfing, schönste Traversalen und Galopppirouten ritt, da passierte mir etwas, das sehr selten ist: ich konnte keine Zeile mehr schreiben. Ich hatte Tränen in den Augen, weil es so schön war. Klar, ich kannte das von Videos und von Shows. Aber so nah dran, es haute mich um.

 

Doch vor der Leichtigkeit steht das Können. Das Üben, das zigmal tun und sich sicher sein.

 

Es waren tausende Stunden im Sattel bei einer Alizée Froment, tausende Stunden an Grundlagenarbeit in der Dressur, stinknormal mit Gebiss und gymnastizierender Arbeit, bevor sie alles abmontierte. Dazu etliche Stunden in der Freiarbeit und absolute Konsequenz in jedem Detail. Da gibt es auch heute kein ‚Ach ja, er steht nicht ganz geschlossen, aber für heut ist’s gut“. Da wird gefeilt und analysiert. Erst wenn alles, alles stimmig ist, wird abgerüstet.

 

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Bei uns im Kurs mit Mistral, hier auf Halsring im Training. Foto: Thomas Rubel

 

Die gute alte Tante FN

Während ich diesen Text tippe, komme ich mir vor wie die gute alte Tante FN. Deren Hauptpredigt die Sicherheit ist. Gibt es ein anderes Land, in dem so viel über Stahlkappenschuhe, Handschuhe beim Führen des Pferdes und sichere Ausrüstung geredet wird?

 

Ich bin nicht spaßbefreit. Das Kind darf auch nur auf Halsring galoppieren. In einem Roundpen, geschlossener Raum, kann wenig passieren, und auf einem braven Pony, dass diesen Job kennt. Die Reitbeteiligung darf auch mal ohne Gebiss reiten – aber bitte auf dem Platz oder in der Halle.

 

Alle anderen Heldentaten in dieser Richtung würde ich zumindest meinem minderjährigem Umfeld gerne abgewöhnen. Auch wenn ich selbst nicht besser war. Und damals alleine, mit Pony auf Halfter und ohne Sattel in den Wald geritten bin. Doch: Es war einfach ein Scheißgefühl, als dieser Motorradfahrer, der nicht in den Wald gehörte, da plötzlich auftauchte, und nicht nur das Motorrad, sondern auch das Pony abknatterte.

 

Ist ja nichts passiert. Stimmt oft. Und doch: Was für ein dummer Satz. Weil er eine scheinbare Sicherheit vermittelt. Genauso, wie ich mir wünsche, dass alle Reiter wissen, was sie da Kostbares in den Händen haben, wenn sie die Zügel anfassen, wünsche ich mir, dass sie Vertrauen nicht mit dumpfem Leichtsinn verwechseln.

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Reiten ist ab einem gewissen Moment Kunst. Der Weg zur Kunst ist jedoch Akribie. Diesen wunderbaren Moment hat Klara Freitag eingefangen.

 

P.S.: Das hier ist kein Plädoyer contra gebissloses Reiten! Es gibt gute Alternativen zur Trense, die auch viel Sicherheit bieten. Der Kappzaum oder das Knotenhalfter beispielsweise, die eine komplett andere Wirkung haben, als ein stinknormales Stallhalfter.

10 Merkmale von Reiterautos

So ein Reiterauto hat ein besonderes Innenleben -und hält schon mal die ein oder andere Überraschung bereit. Foto: A life with horses

 

Es ist eine durchaus spezielle Beziehung, die von Reiterinnen und ihren Autos. Sie führt einerseits zu Fachfragen wie „Was kann der ziehen?“ und andererseits zu lieblosen Schlammspuren an den unmöglichsten Ecken in und am Auto. Wie viele der zehn Punkte kannst Du abhaken?

  1. Reiterautos dienen als Umkleidekabine. Und Reiterinnen haben erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, wie man sich hinter’m Lenkrad komplett umzieht.
  2. Waschanlagen sieht das Auto montags: Der Tag ist am weitesten vom nächsten Turnierwiesen-Besuch entfernt.
  3. Der Kofferraum wird oft mit Zeug befüllt, das da eine Weile drin bleibt. Die Kappe, weil Du an mehreren Ställen reitest. Oder: Das Weidehalfter, damit Du es nicht erst im Stall holen musst, bevor Du das Pferd aufliest. Oder: Die frisch gewaschenen Handtücher, die Du in Deinen Sattelschrank sortieren möchtest.
  4. Es ist immer eine Notration Essen im Auto (meist so etwas Gesundes wie Schokoriegel). Könnte ja sein, dass man direkt vom Schreibtisch zum Pferd düst.
  5. Reiterautos benötigen keine Duftbäume. Schließlich riecht es ja stets gut nach Pferdehaaren darin.
  6. Die Schwelle zwischen Fahrertür und Gaspedal hat verräterische Matschspuren.
  7. In der Mittelkonsole liegen nicht nur Haargummis für Menschen, sondern auch Mähnengummis für Pferde.
  8. Wenn Du Dich fragst, wo denn zum Teufel noch mal dieser zweite Handschuh, die eben gekaufte Leckerli-Dose oder das Ersatzpaar Reitersocken ist, und Du schon zweimal den Sattelschrank durchgewühlt hast: Guck mal unter die Sitze Deines Autos. (und: Nein, Du bist nicht so unordentlich. Reiterautos haben eben eine spezielle Art von Humor und verschlucken daher gern mal so ein Zeug. Das ist ihr Charakter!)
  9. Im Kofferraum steht eine Plastikbox mit angetrockneten Schlammresten darin. Abwechselnd beherrbergt die Stiefeletten, Reit- und Gummistiefel.
  10. Der Beifahrersitz ist mit Tüchern behangen. Deko, die schnell heruntergerissen werden kann, wenn mal ein Nichtreiter im Auto mitfährt.

 

Das Mädchen mit dem Dalmatiner

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Meine Fee. Meine Nike. Ich. Foto: Klara Freitag

 

Vergangenen Freitag um kurz vor 16 Uhr habe ich meinen Hund einschläfern lassen. Ihre Ohren in meinen Händen, ihr Kopf ruhend auf dem Rand ihres Körbchens, der Tierarzt rechts, der Mann links vom Hund. Die Tür zum Garten stand auf, einen Teller voll Hackfleisch hatte sie zuvor bekommen. Sie konnte nicht mehr alleine aufstehen, seit Wochen nicht mehr. Ich hatte Euch schon gesagt, es gab einen Grund, warum es hier still war. Ich war nämlich Altenheim-Pflegerin für meinen Hund, sozusagen. Alleine lassen ging nicht mehr, mitnehmen schon seit Monaten kaum. Sie rief mich nachts, wenn sie mal musste oder trinken wollte. Zwei, dreimal die Nacht. Ich half ihr hoch, stützte sie. Irgendwann war ich so müde, dass ich auf dem Sofa neben ihr geschlafen habe, weil ich ihr leises Fiepen sonst nicht mehr gehört hätte. Und immer diese Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Will sie noch bei uns sein? Bist Du der Verräter, wenn Du sie jetzt einschläferst? Schon oder erst jetzt einschläferst? Wann kann man es Gnade nennen? 

***

Es ist Sonntagmorgen. Sonnig, Vögel zu hören, das Fenster steht auf. An einem normalen Tag würde ich jetzt mit Hund und Kind zum Stall gehen.

 

An einem normalen Tag.

 

Als ich gestern Abend ins Bett ging, dachte ich: noch schnell heruntergehen, dem Hund über den Kopf streichen. Als ich aufstand, dachte ich: hab’ ich da den Hund gehört? Als ich gestern ins Auto stieg, und vorn vor dem Beifahrersitz die Einkäufe vom Bäcker hinplatzierte, und meine Tochter fragte: „Wo hast Du denn den Kuchen hingetan?“ und ich sagte: „Vorn, beim Beifahrersitz“, da war es kurz still im Auto. Dann sagte meine Tochter: „Da saß Nike immer.“ Meine Gedanken.

 

 

Es gibt keine Nike mehr. Es gibt noch diese Automatismen in meinem Kopf, die immer noch denken, wir leben mit ihr. Bürotür aufschließen: „Moment, der Hund muss noch mit hereinhuschen.“ Ach nein. Etwas fällt auf den Boden: „Wir haben ja einen vierbeinigen Staubsauger.“ Quatsch. Einkäufe im Flur abstellen: „Oh nein, dann klaut Nike das.“ Auch das nicht mehr. Fahrten zur Familie: „Sind alle im Auto? Nike fehlt doch!“ Ja.

 

Sie fehlt.

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Ein Bild vom vergangenen Winter. Da konnte sie noch die paar hundert Meter bis zum Stall laufen. Foto: Klara Freitag

 

Sie ist 13 oder 14 Jahre alt geworden, genau weiß ich es nicht, denn sie war ein Tierschutzhund aus Griechenland, der nach Deutschland kam, als Athen für die Olympischen Spiele seine Straßen hundefrei haben wollte.

Vom Straßenhund zum Traumhund

Sie kam zu mir, als ich Studentin war. Mitte zwanzig, unglücklich, und ich dachte: jetzt einen Hund anschaffen. Jetzt, oder erst, wenn Du in Rente bist. Beknackt, aber so war es. Ich wollte unbedingt einen Dalmatiner, weil ich sie so freundlich fand, so verspielt bis ins hohe Alter, und weil sie am Fahrrad rennen können. Ich wollte keinen aus einer Zucht, weil die Dalmatinerfärbung immer die Gefahr beinhaltet, dass Welpen taub sei können. Kann man unterstützen, so etwas in Kauf zu nehmen? Ich nicht. Aber mit dieser Tierheimhund-Lösung konnte ich leben. Meine Pferde, damals zwei, standen 10 Kilometer stadtauswärts, ich wohnte in der Innenstadt. Ich hatte kein Auto, und Nike rannte von Anfang an mit mir dorthin, zwanzig Kilometer am Tag. Als sie kam, hatte sie furchtbare Angst vor Männern. Hob man die Leine hoch, schmiss sie sich auf den Boden. So, als ob sie erwarten würde, dass man jetzt draufhaut. Sie kannte ihren Namen nicht, sie tat in der Wohnung so, als sei sie nicht da. Hockte sich hinter Sessel, versuchte unauffällig und leise zu sein, hatte keine Ahnung, wie man an der Leine ging, wo man als Hund auf Toilette gehen darf.

 

In ihrer ersten Nacht bei mir stellte sie sich zähnefletschend vor mich, als ich aufstehen musste. Ich hielt ihr eine handvoll Futter unter das Maul. Es war eine Intuition, ich war kein Hundeversteher damals. Es war richtig. Sie hatte einfach vergessen, wo sie war, der ganze Hund war nur ein Bündel voll Angst. Von da an war klar, dass ich ihr nie etwas tun würde.

 

Das zerdrückte Ohr

Nie wieder in ihrem Leben hat sie irgendeine Aggression gegen Menschen gezeigt. Als meine Tochter ein Krabbelkind war, zerdrückte sie Nikes Ohr. Nike heulte und winselte und hielt still. Sie wartete, bis ich ihr Ohr aus den Kinderhänden befreite. So war mein Hund.

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Love. Foto: Klara Freitag

 

Mein Hund, der stundenlang in Decken gehüllt in der Reithalle auf mich wartete. Mein Hund, der mit mir im Zug gereist ist, der mit mir in England und in der Schweiz gewohnt hat, der in Berlin und auf dem platten Land mal mit mir zuhause war. Mein Hund, der neben meinem Pferd durch den Wald in Aachen gerannt ist, durch die Berge im Westerwald, im Feld im Münsterland und auf den Sandwegen Brandenburgs.

Diese paar Jahre. Ihr ganzes Leben.

Ich könnte heulen und fluchen, dass Hunde nur so wenige Jahre leben. Schon komisch, sagt mein Mann, für uns waren es ein paar Jahre, für Nike war es ihr ganzes Leben.

Ich werde immer als erstes die Geschichte von Nike erzählen, wie sie meine Weihnachtsgeschenke zerfetzte, schreibt mir meine Freundin B. Sie liebte Nike, aber diese Geschichte hatte es tatsächlich in sich. Wir wohnten damals zusammen, Nike war ein junger Hund. Meine Freundin hatte für ihre Familie liebevollst eingepackte Sachen zusammengestellt, mit Geschenkanhängern, Karten, Schokolade. Nike zerstörte alles. Sie fraß die Schokolade, zerkaute Holzbilderrahmen, ließ kein einziges Geschenk aus. Das Foto von Nike mit schuldbewusstem Gesicht, wie sie inmitten der zerfetzten Sachen sitzt, habe ich noch. Musste ich der Versicherung schicken, die brav all die Sachen bezahlte, die ich an einem Tag alle haargenau wieder neu kaufen musste.

So ein schönes Leben hatte sie doch, sagen andere Freunde. Sei dankbar für die Zeit. Was soll man schon sagen, ich weiß. Es tröstet mich nur nicht. Es war einfach mein Hund. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwann noch mal einen Hund geben wird, der mir so nah ist.

 

Vielleicht willst Du das nicht hören, sagt darauf meine Freundin P. Aber sie hätte das von jedem ihrer Hunde gedacht, und dann kam wieder einer, der sie ebenso stark berührt hätte. Eben anders, aber genauso doll.

Vielleicht ist es ja einfach nur der Schmerz der ersten großen Hundeliebe, die gegangen ist.

Nein, sagt mein Freund T. Es ist auch traurig wegen Dir selbst. Du wirst einfach nie mehr dieselbe sein. Vielleicht stimmt auch das. Nike war da, als ich studierte, als ich ein wildes Leben führte. Als ich in die Großstadt zog, und mich halbtod arbeitete, als ich heiratete, als ich ein Kind bekam, als ich aufs Land zog.

 

Das Mädchen mit dem Dalmatiner.

Das war ich.

 

Der Geheimtipp mit den Brennnesseln

 

Schönste Stunden. Auf der Heuwiese des Nachbarn mit meiner Fee. Foto: Klara Freitag

Schönste Stunden. Auf der Heuwiese des Nachbarn mit meiner Fee. Alle Fotos: Klara Freitag

Oder: wie ich den Sommer feiere. Trotz allem.

Vorab: Es ist noch mal richtig schön warm dieser Tage. Diesen Text habe ich allerdings geschrieben, als es nicht fluffige 24 Grad, sondern 30 Grad plus waren. Es waren schwierige Tage, nicht nur wegen der Temperatur. Aber ich hab‘ mir vorgenommen, jeden Tag zu feiern. So wie das Hunde tun, die jeden Tag glücklich aufstehen, die nicht an Morgen denken. Weil ich nämlich glaube, das wir das Leben nur so richtig fühlen können. Volle Kanne. Also, hier ist er, ein reiner Feier-Text. Trotz allem.* 

Warnung: das wird ein reiner Schwärm-Text. Denn ich komme gar nicht mehr raus aus dem Bewundern, Genießen und Machen dieser Tage. Es ist Hochsommer, und in der heftigsten Regenecke dieses Landes, in der ich nämlich wohne, sind das kostbare Tage.

Morgens, kurz nach acht Uhr, bin ich am Stall und reite mit Fee ab in den Wald. Wir treffen zwei, drei Hundebesitzer, ansonsten haben wir den Wald für uns alleine. Es ist zwar warm, aber nicht heiß, es duftet, und helles Morgenlicht an lichten Waldstellen lässt mich an jeder Ecke denken: „Und jetzt ein Foto!“. Meine Fee freut sich, prustet, wir galoppieren einen meiner Lieblingswege entlang, der wie eine Wellenbahn leicht auf- und abführt. Dann noch ein wenig im Trab zulegen und wieder einfangen, nur ein paar Tritte jeweils. Herrlich, sie passt gut auf und macht Spaß, die Fee.
Alizées Tipp
Dann noch abwechselnd Schenkelweichen und Traversalen, hin- und her, von einer Seite des Weges zur anderen. „Play with it!“ ist mir noch in den Ohren, Alizée Froment sagte mir das im letzten Kurs. Damals fand ich die Einladung, mit diesen Bewegungen zu spielen, noch ziemlich kühn, denn ich eierte eher auf der Mittellinie herum, als dass es nach einem leichten Spiel aussah. Hier im Gelände ist das viel einfacher, weil: das Vorwärts ist ja automatisch da. Macht der Wald. Grins.

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Anderer Tag. Ich liebe den Anblick der geernteten Heuwiesen, die sind hier herum nämlich sanft geschwungen. Am allerschönsten ist ihre Weite abends zu bewundern, dann gibt es gratis dazu diese unglaublichen Himmelsfarben, die nur Spätsommerabende zu Stande bringen. Wegen der Nässe in diesem Jahr ist unsagbar spät Heu gemacht worden, und daher gab’s Heuwiesenritte bei uns, als andere schon fast auf’s Stoppelfeld gingen. Außerdem mussten wir langsam tun, denn stellenweise war der Boden immer noch nicht durchgetrocknet (und wer sich jetzt fragt, wie man da vernünftiges Heu für den Winter bekommt, der stellt genau die richtige Frage.) Der Ritt auf der Heuwiese war dennoch schön. Weite, mal langsamer als sonst genossen.

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Tagsüber, wenn das Kind mit dem Pony tüdelt, halte ich mal den Wasserschlauch auf mein Pferd. Beine kühlen. Mehr machen wir tagsüber nicht bei 30 Grad plus. Ganz anders war das in dem Jahr, in dem mein Pferd zuletzt tragend war. Da reichte der Wasserschlauch nicht mehr aus.

Brennnesseln gegen dicke Beine

Sie hatte dicke Beine, als sie in genau so einer Hitzewelle hochträchtig war. Der Tipp meines Tierarztes: Brennnesseln trocknen und füttern. Ich weiß ja, das Phytotherapie, Kräuter und Heilpflanzen was können, aber ich hätte nie für möglich gehalten, wie schnell und wie gut das half. Ein, zwei handvoll Brennesseln auf’s Futter, und die Beine waren wieder dünn. Daraufhin war mein Arbeitszimmer die ganzen Sommerwochen über der Trockenraum für diese Biester (welche Leiden Männer von Pferdefrauen durch solche Aktionen erdulden müssen, hatte ich übrigens mal hier aufgeschrieben). Irgendwann dachte ich, ach was, ist ja nicht mehr so heiß, und der Stute geht’s ja so super, kannst du weg lassen. Kurz darauf: waren die Beine wieder dick. Also wieder zugefüttert und TADAA: Beine dünn. Effizient, würde ich mal sagen. Brennnesseln sind also der absolute Tipp, wenn es darum geht, den Lymphfluss zu erleichtern. Übrigens hat die Brennnessel eine ganz hohe Nährstoffdichte: siebenmal mehr Vitamin C ist in ihr vorhanden im Vergleich zur Apfelsine, dazu mehr Kalzium als in vielen Milchprodukten. Ein echtes Superfood. Also: Grüner Smoothie mit Brennnesseln für mich, Brennnessel als Kraut oben auf ihrer Futterportion für Fee. Guter Plan.

 

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Fee mit Weidebäuchlein. Freut mich sehr, weil sie im Frühjahr ja so dünn geworden war (wieso weshalb warum steht HIER). Foto: Klara Freitag

 

Wenn ich abends noch mal zum Stall gehe, dann kommt’s mir momentan bei uns vor wie ein einem Pilcher-Film. Die Hochlandrinder, unsere Nachbarn, stehen bis zum Bauch im Teich, um sich abzukühlen. Am Rande ihrer Weide stehen Apfelbäume, die ihre ersten Früchte auf den Weg geschmissen haben. Kleine Kugeln, mal rot, mal grün. Am Stacheldraht der Kühe hat sich ihr rotbraunes langes Haar verfangen und bewegt sich im Wind. Es zwitschert (wie eigentlich den ganzen Tag über), und wenn ich am Stall angekommen bin, steht mit ganz viel Glück noch Pflaumenkuchen in der Küche des Reitstalls bereit. Von Annike, der Königin der Kuchen, mit Pflaumen von den Obstbäumen die rund um die Halle stehen, gebacken. Geht’s besser?

 

*=Das ‚trotz allem‘ erkläre ich Euch im nächsten Blogbeitrag. Spoiler: es wird traurig. Leider.