Futter für Streitgespräche unter Reitern! Dehnungshaltung ja oder nein, Eindecken ja oder nein, Pad ja oder nein: Warum es keine einfachen Antworten gibt. Das hier ist der zweite Teil meines Textes über vier Thesen:
- Sperrriemen gehören abgeschafft.
- Ein Sattel muss so passen, dass kein Pad nötig ist.
- Pferde brauchen keine Decke, die zerstören nur die Thermoregulation.
- Die Dehnungshaltung bringt Pferde auf die Vorhand und ist daher schädlich.
Ich behaupte: Mit diesen, schön plakativ gepostet, könnte ich ganz schön viele Fans, Likes und Teilungen erreichen. Auch mit entsprechenden Artikeln, die genau die aufgestellten Thesen untermauern. Nur wäre das Quatsch. Warum, liest Du hier und im ersten Teil des Textes drüben auf wehorse.
Wenn ich eins gelernt habe in den Jahren, in denen ich mich beruflich in der Pferdeszene umschaue und so als Journalistin mit vielen Ausbildern und Trainern, Reitern und Pferdemenschen Kontakt habe, dann ist es: Nicht zu früh urteilen. Genau hingucken. Abwägen. Genau das fehlt mir manchmal in der Breite. Manchmal kommt’s mir vor, als ob jemand irgendwo etwas aufgeschnappt hat, sagen wir mal: „Ein passender Sattel braucht kein Pad“. Und dann wird das jahrelang wiedergekäut und ohne abzuwägen als reine Wahrheit weitergegeben.
Sattelpads bei Springsätteln
Wie wäre es, stattdessen neugierig zu bleiben und nach dem Warum zu fragen? Nach Varianten zu gucken?
Beim Beispiel Pad wäre das: Welche Sparten der Reiterei nutzen vor allem Pads? Kann es kurzfristige oder langfristige gute Gründe geben, welche zu benutzen? Wie kann man verhindern, dass der Sattel mit Pad zu eng ist? Dann fallen die Antworten nämlich schon viel differenzierter aus. Die Pad-Allergie kommt eher aus der Dressur- und Alternativszene. Pads nutzen Springreiter und Westernreiter vermehrter (Aus folgenden Gründen: weniger verstellbare Bäume bei den einen, Vorliebe für nicht abänderbare Latexpolsterungen und einem Sattel für mehrere Pferde bei den anderen). Dass der Sattel so ausgerichtet werden muss, dass das Pad mit eingerechnet ist, macht so einen großen Unterschied.
Die Richterin und ihr Lästern über mein Pad
Es ist so einfach zu verurteilen und so viel schwerer, abzuwägen. Das betrifft übrigens nicht nur schlecht informierte Menschen. Mir ist das übrigens schon selbst passiert: Ich ritt mit einem Korrekturpad unterm Sattel, das als Lammfell-Kranz rund um den Sattel sichtbar war. Eine Richterin am Rande zeterte los, dass diese Lammfelle die Kammer verkleinern und dass das ja eine ganz blöde Mode sei, Felle unter den Sattel zu packen. Da ist es wieder, das schnelle Urteil.
Pads machen den Sattel enger
An sich hat sie ja recht: Ja, Pads machen den Sattel enger. Aber vielleicht gibt es ja dennoch Gründe, eins zu nutzen. Um muskulär schlechte Phasen zu überbrücken, zum Beispiel. Wie wäre es, die Möglichkeit mit einzuschließen, dass der Reiter vielleicht doch nicht so doof ist, wie angenommen, und diese Kombination tatsächlich vom Sattler hat anpassen lassen? Könnte ja auch sein.
Aber, und das sei auch gesagt: Ja, das Ideal ist, dass ein Sattel ohne Schnickschnack einfach passt. Nur ist es in der Realität oft leider nicht ganz so einfach.
Pferde eindecken ist ein Glaubenskrieg geworden
Nächstes Thema, hochaktuell: Pferde eindecken, ja oder nein. Da geistert das Wort Thermoregulation durchs Netz. Ein Thema, das unter den Pferdehaltern, die sich besonders viele Gedanken ums Pferd machen, auf Facebook zur Winterzeit rauf und runter geteilt wird. Nur wäre es ja ganz schön, wenn ein bisschen mehr unterschieden wird, welche Art von Pferd man denn zuhause stehen hat. Der ungeschorene Isländer braucht sicher keine Decke (außer, er ist nassgeschwitzt und soll draußen trocknen!), beim Pferd mit viel Blutanteil sieht die Fellstruktur und damit die Sache schon komplett anders aus. Ebenso bei alten Pferden, bei Pferden, die Kälte auf dem Rücken nicht abhaben können, zu dünnen Pferden, bei Pferden mit wenig Fell oder weicher Haarstruktur.
300 Gramm Decken braucht kaum jemand in Deutschland
Das alles wird aber nicht beachtet in den Posts, in denen auf das Eindecken der Pferde geschimpft wird. Ich will nicht wissen, wie viele Pferde nach Lektüre dieser eindimensionalen Pamphlete zitternd im Regen stehen! Oder aber, und das ist in die andere Richtung zu kurz gedacht, viel zu warm eingedeckt in ihrer Box warten. Letztes Jahr habe ich einen Hersteller einer App interviewt, der Temperaturen unter Decken gemessen hat. Nach dem Test stieg er bei seinen Privatpferden von 200 und 300 Gramm Decken auf 50 und 100 Gramm Decken um. Denn die Messungen zeigten klar, dass die warmen Decken zu viel zu hohen Temperaturen rund um das Pferd führten. Also: Es kommt darauf an.
Dehnungshaltung: Was ist dran an der Kritik?
Ein Thema, das ganz viele Reiter an der Basis verunsichert, ist die Kritik an der Dehnungshaltung. Sie geistert seit Monaten durchs Netz. Gift sei die, sagen zwei Schulen, die speziellen Reit-Philosophien anhängen. Das Pferd käme dadurch auf die Vorhand und so verschleiße es schneller. Das wird geschrieben und gleichzeitig werden Positiv-Filme, so sind sie wohl gemeint, mit Pferden gezeigt, die mit weggedrücktem Rücken und in absoluter Aufrichtung Lektion um Lektion zeigen. Merkmale, die garantiert nicht gesund fürs Pferd sind.
Die Kritik an der Dehnungshaltung ist weder ganz falsch noch ganz richtig. Sie kann stimmen, wenn: Ich ein Pferd nur vorwärts-abwärts reite. Dann könnte es je nach Gebäude früher oder später passieren, dass es nur auf der Vorhand rum gurkt. Wenn der Reiter außer Acht lässt, dass das Pferd dabei im Gleichgewicht sein sollte, das Hinterbein zum heranschließen nutzt und er darauf achtet, dass sich der Winkel zwischen Ganasche und Unterhalslinie öffnet. Wie eine Dehnungsbereitschaft gut ausgeführt ist, und welche Fehler auftreten können, das hat das übrigens Dr. Britta Schöffmann hier auf wehorse sehr gut erklärt.
Vorwärts-Abwärts braucht man, wenn
Komplett ohne Dehnungshaltung reiten zu wollen ist für die allermeisten Pferde keine gute Idee. Wenn ich die Dehnungshaltung, die Dehnungsbereitschaft komplett aus meinem Repertoire streiche, dann kann sich die Kraftübertragung von hinten nach vorn nicht korrekt entfalten. Dann habe ich keine Bewegung durchs Pferd, kein rhythmisches Muskelan- und abspannen, keinen leicht aufgewölbten Rücken und eben keine Kräftigung von den Partien, die es mir erlauben, ein Pferd zu reiten, ohne dass es Schaden nimmt.
Die Dosis macht das Gift. Und der Pferdetyp. Es kommt eben drauf an, was ein Pferd gerade braucht. Das eine Pferd bringt zuviel Dehnungshaltung vielleicht aus der Balance und auf die Vorhand. Das andere Pferd braucht häufigere Phasen in Dehnungshaltung, um die Idee zu entwickeln, über den Rücken an die Hand heranzutreten, mit gut arbeitendem Hinterbein. Es lernt, den Rücken leicht aufzuwölben, die Bauchmuskulatur zu nutzen, die untere Halsmuskulatur locker zu lassen und auch mit tiefer Nase den Brustkorb anzuheben. Was überhaupt nicht einfach ist, das korrekt zu reiten!
Es kommt darauf an
Eigentlich sollte ein guter Ausbilder erkennen und vermitteln, wann was angebracht ist. Das ist das verwirrende, für so viele Reiter: Dass manche hoch dekorierte Ausbilder schwarz und weiß sagen, und nicht „es kommt darauf an.“ Das ist die kompliziertere Antwort, die Erklärung und Mühe seitens des Ausbilders verlangt. Und den Schüler nicht dumm hält.
Danke an alle Ausbilder, die genau erklären
Ich danke den Reitlehrern, die sich immer wieder auseinandersetzen und tatsächlich lehren wollen: Reitern helfen wollen, zu verstehen, was das Pferd gerade braucht. Und sie in die Lage versetzen, das selbst zu tun. Das ist mühselig. Aber unabdingbar, wenn man wirklich pro Pferd arbeiten will.