Lügen über das Eindecken von Pferden & die Dehnungshaltung

Futter für Streitgespräche unter Reitern! Dehnungshaltung ja oder nein, Eindecken ja oder nein, Pad ja oder nein: Warum es keine einfachen Antworten gibt. Das hier ist der zweite Teil meines Textes über vier Thesen:

 

  1. Sperrriemen gehören abgeschafft.
  2. Ein Sattel muss so passen, dass kein Pad nötig ist.
  3. Pferde brauchen keine Decke, die zerstören nur die Thermoregulation.
  4. Die Dehnungshaltung bringt Pferde auf die Vorhand und ist daher schädlich.

 

Ich behaupte: Mit diesen, schön plakativ gepostet, könnte ich ganz schön viele Fans, Likes und Teilungen erreichen. Auch mit entsprechenden Artikeln, die genau die aufgestellten Thesen untermauern. Nur wäre das Quatsch. Warum, liest Du hier und im ersten Teil des Textes drüben auf wehorse.

Wenn ich eins gelernt habe in den Jahren, in denen ich mich beruflich in der Pferdeszene umschaue und so als Journalistin mit vielen Ausbildern und Trainern, Reitern und Pferdemenschen Kontakt habe, dann ist es: Nicht zu früh urteilen. Genau hingucken. Abwägen. Genau das fehlt mir manchmal in der Breite. Manchmal kommt’s mir vor, als ob jemand irgendwo etwas aufgeschnappt hat, sagen wir mal: „Ein passender Sattel braucht kein Pad“. Und dann wird das jahrelang wiedergekäut und ohne abzuwägen als reine Wahrheit weitergegeben.

Sattelpads bei Springsätteln

Wie wäre es, stattdessen neugierig zu bleiben und nach dem Warum zu fragen? Nach Varianten zu gucken?

Beim Beispiel Pad wäre das: Welche Sparten der Reiterei nutzen vor allem Pads? Kann es kurzfristige oder langfristige gute Gründe geben, welche zu benutzen? Wie kann man verhindern, dass der Sattel mit Pad zu eng ist? Dann fallen die Antworten nämlich schon viel differenzierter aus. Die Pad-Allergie kommt eher aus der Dressur- und Alternativszene. Pads nutzen Springreiter und Westernreiter vermehrter (Aus folgenden Gründen: weniger verstellbare Bäume bei den einen, Vorliebe für nicht abänderbare Latexpolsterungen und einem Sattel für mehrere Pferde bei den anderen). Dass der Sattel so ausgerichtet werden muss, dass das Pad mit eingerechnet ist, macht so einen großen Unterschied.

Die Richterin und ihr Lästern über mein Pad

Es ist so einfach zu verurteilen und so viel schwerer, abzuwägen. Das betrifft übrigens nicht nur schlecht informierte Menschen. Mir ist das übrigens schon selbst passiert: Ich ritt mit einem Korrekturpad unterm Sattel, das als Lammfell-Kranz rund um den Sattel sichtbar war. Eine Richterin am Rande zeterte los, dass diese Lammfelle die Kammer verkleinern und dass das ja eine ganz blöde Mode sei, Felle unter den Sattel zu packen. Da ist es wieder, das schnelle Urteil.

Pads machen den Sattel enger

An sich hat sie ja recht: Ja, Pads machen den Sattel enger. Aber vielleicht gibt es ja dennoch Gründe, eins zu nutzen. Um muskulär schlechte Phasen zu überbrücken, zum Beispiel. Wie wäre es, die Möglichkeit mit einzuschließen, dass der Reiter vielleicht doch nicht so doof ist, wie angenommen, und diese Kombination tatsächlich vom Sattler hat anpassen lassen? Könnte ja auch sein.

Aber, und das sei auch gesagt: Ja, das Ideal ist, dass ein Sattel ohne Schnickschnack einfach passt. Nur ist es in der Realität oft leider nicht ganz so einfach.

Pferde eindecken ist ein Glaubenskrieg geworden

Nächstes Thema, hochaktuell: Pferde eindecken, ja oder nein. Da geistert das Wort Thermoregulation durchs Netz. Ein Thema, das unter den Pferdehaltern, die sich besonders viele Gedanken ums Pferd machen, auf Facebook zur Winterzeit rauf und runter geteilt wird. Nur wäre es ja ganz schön, wenn ein bisschen mehr unterschieden wird, welche Art von Pferd man denn zuhause stehen hat. Der ungeschorene Isländer braucht sicher keine Decke (außer, er ist nassgeschwitzt und soll draußen trocknen!), beim Pferd mit viel Blutanteil sieht die Fellstruktur und damit die Sache schon komplett anders aus. Ebenso bei alten Pferden, bei Pferden, die Kälte auf dem Rücken nicht abhaben können, zu dünnen Pferden, bei Pferden mit wenig Fell oder weicher Haarstruktur.

300 Gramm Decken braucht kaum jemand in Deutschland

Das alles wird aber nicht beachtet in den Posts, in denen auf das Eindecken der Pferde geschimpft wird. Ich will nicht wissen, wie viele Pferde nach Lektüre dieser eindimensionalen Pamphlete zitternd im Regen stehen! Oder aber, und das ist in die andere Richtung zu kurz gedacht, viel zu warm eingedeckt in ihrer Box warten. Letztes Jahr habe ich einen Hersteller einer App interviewt, der Temperaturen unter Decken gemessen hat. Nach dem Test stieg er bei seinen Privatpferden von 200 und 300 Gramm Decken auf 50 und 100 Gramm Decken um. Denn die Messungen zeigten klar, dass die warmen Decken zu viel zu hohen Temperaturen rund um das Pferd führten. Also: Es kommt darauf an.

Dehnungshaltung: Was ist dran an der Kritik?

Ein Thema, das ganz viele Reiter an der Basis verunsichert, ist die Kritik an der Dehnungshaltung. Sie geistert seit Monaten durchs Netz. Gift sei die, sagen zwei Schulen, die speziellen Reit-Philosophien anhängen. Das Pferd käme dadurch auf die Vorhand und so verschleiße es schneller. Das wird geschrieben und gleichzeitig werden Positiv-Filme, so sind sie wohl gemeint, mit Pferden gezeigt, die mit weggedrücktem Rücken und in absoluter Aufrichtung Lektion um Lektion zeigen. Merkmale, die garantiert nicht gesund fürs Pferd sind.

Die Kritik an der Dehnungshaltung ist weder ganz falsch noch ganz richtig. Sie kann stimmen, wenn: Ich ein Pferd nur vorwärts-abwärts reite. Dann könnte es je nach Gebäude früher oder später passieren, dass es nur auf der Vorhand rum gurkt. Wenn der Reiter außer Acht lässt, dass das Pferd dabei im Gleichgewicht sein sollte, das Hinterbein zum heranschließen nutzt und er darauf achtet, dass sich der Winkel zwischen Ganasche und Unterhalslinie öffnet. Wie eine Dehnungsbereitschaft gut ausgeführt ist, und welche Fehler auftreten können, das hat das übrigens Dr. Britta Schöffmann hier auf wehorse sehr gut erklärt.

 

Vorwärts-Abwärts braucht man, wenn

Komplett ohne Dehnungshaltung reiten zu wollen ist für die allermeisten Pferde keine gute Idee. Wenn ich die Dehnungshaltung, die Dehnungsbereitschaft komplett aus meinem Repertoire streiche, dann kann sich die Kraftübertragung von hinten nach vorn nicht korrekt entfalten. Dann habe ich keine Bewegung durchs Pferd, kein rhythmisches Muskelan- und abspannen, keinen leicht aufgewölbten Rücken und eben keine Kräftigung von den Partien, die es mir erlauben, ein Pferd zu reiten, ohne dass es Schaden nimmt.

Die Dosis macht das Gift. Und der Pferdetyp. Es kommt eben drauf an, was ein Pferd gerade braucht. Das eine Pferd bringt zuviel Dehnungshaltung vielleicht aus der Balance und auf die Vorhand. Das andere Pferd braucht häufigere Phasen in Dehnungshaltung, um die Idee zu entwickeln, über den Rücken an die Hand heranzutreten, mit gut arbeitendem Hinterbein. Es lernt, den Rücken leicht aufzuwölben, die Bauchmuskulatur zu nutzen, die untere Halsmuskulatur locker zu lassen und auch mit tiefer Nase den Brustkorb anzuheben. Was überhaupt nicht einfach ist, das korrekt zu reiten!

Es kommt darauf an

Eigentlich sollte ein guter Ausbilder erkennen und vermitteln, wann was angebracht ist. Das ist das verwirrende, für so viele Reiter: Dass manche hoch dekorierte Ausbilder schwarz und weiß sagen, und nicht „es kommt darauf an.“ Das ist die kompliziertere Antwort, die Erklärung und Mühe seitens des Ausbilders verlangt. Und den Schüler nicht dumm hält.

Danke an alle Ausbilder, die genau erklären

Ich danke den Reitlehrern, die sich immer wieder auseinandersetzen und tatsächlich lehren wollen: Reitern helfen wollen, zu verstehen, was das Pferd gerade braucht. Und sie in die Lage versetzen, das selbst zu tun. Das ist mühselig. Aber unabdingbar, wenn man wirklich pro Pferd arbeiten will.

7 Kommentare

  1. Ein riesen riesen Lob für diesen Artikel und auch den auf wehorse. Nicht nur, dass du „es kommt drauf an“ sagst, sondern, dass du postives und negatives der absoluten Stellungen beschrieben hast!
    Nach unserem letzten Gespräch (gerade das Thema, ein guter Sattel braucht kein Pad), bin ich auch nochmal in mich gegangen, habe mich umgeschaut und mich auch weitergebildet. Ja, ich habe gelernt, es gibt auch angebrachte Zeitpunkte für ein Pad 😉
    (Beim Thema Gurt sind wir leider noch nicht wirklich weiter gekommen.)

    Als nächstes muss ich jetzt wohl lernen wie ich damit umgehe, wenn Leute deren Meinung ich schätze mit Schwarz/Weiß Aussagen zu mir kommen, denn damit tue ich mich wirklich noch schwer. Das wäre doch eine super Idee für den nächsten Artikel! 😉

    Ganz liebe Grüße!

  2. Dankeschön Michele! Für diesen Kommentar und für unseren Meinungsaustausch zuvor. Das haben wir echt gut hinbekommen ☺️! Liebe Grüße! Jeannette (und ich drücke die Daumen, dass Du bzgl. Gurt weiterkommst!)

  3. Sehr wahr! Das Verallgemeinern und diese Besserwisserei nervt mich auch sehr. Jeder muss seinen Weg finden dürfen und wenn das Pferd dabei nicht furchtbar leidet, sollte jederman das auch tolerieren.
    Letztenendes gibt es keine Statistiken weltweit die belegen das Pferde früher verschleißen ohne Dehnungshaltung. Wenn wir jedoch hören das viele Dressurpferde nur 10 bis 12 j.gesund sind und dann Probleme mit den Beinen haben,gehört die Reitweise überdacht. Z.B.die Westernreiter in Amerika ,die ihre Rinder tagelang hüten, reiten am langen Zügel und denken sicher nicht viel darüber nach ob ihr Pferd auf der Vorhand läuft. Sie arbeiten mit den Pferden und sind achtsam mit ihnen. Auf den Pferden liegt der immer gleiche Sattel mit Pad,klar könnte man anführen, das Quarterhorse ist evtl.immer ähnlich gebaut. Aber das müsste für unsere Rassen dann ja auch zutreffen,was es nicht tut. Oder Wanderreiter/ Distanzreiter. Die Pferde laufen fleißig in natürlicher Kopf/ Halshaltung viele Kilometer am Tag und werden steinalt. Wichtig ist doch: nie aufhören sich zu spiegeln und nachdenken über das was man macht.

  4. Im Grunde ganz simpel und viel gesunder Menschenverstand. Danke 🙂

  5. Hallo, ich finde es grundsätzlich super, dass ein Reiter endlich aufsteht und diese reinen Wahrheiten kritisiert. Allerdings möchte ich gerne meine Erfahrungen zum Thema Dehnungshaltung erläutern:
    1. Nach jahrelangem ausprobieren bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass gutes Gleichgewicht und Dehnung (also Kopf nach vorne unten strecken) nicht gut zusammen passen. Ich würde niemals so im Alltag rumlaufen, es ist einfach unnatürlich und verlagert den Schwerpunkt künstlich zusätzlich nach vorne. Dies zwingt einen immer schnellere Ausfallschritte zu machen, weil Mensch bzw. Pferd sonst „auf die Schnauze fällt“. Sicher kann unser Pferd versuchen mit gewissen Muskelgruppen dagegen zu arbeiten, aber erst einmal bringe ich es dadurch in eine ungünstige Gleichgewichtssituation.
    2. Wir müssen uns einigen was „Hinterbein Heranschließen“ ist… Wenn damit ein deutliches pendeln aus dem Hüftgelenk gemeint ist (was auch ein optisch gut sichtbares Untertreten hervorbringt), dann ist wiederum zu bedenken, dass die Hinterbeine genau soweit schweifwärts nach hinten schieben müssen. Dies bewirkt eine eher horizontale Beckenstellung und damit eine gestreckte Wirbelsäule. Dies passt natürlich zu unserer sehr schubbetonten modernen Reiterei. Durch die gedehnte, tiefe Kopf – Halshaltung wird das Strecken, also das Dehnen der Wirbelsäule, verstärkt. Wir sitzen auf eine komplett gedehnten Oberlinie, also Muskulatur. Kein Sportler würde einen komplett gedehnten Muskel mit Gewicht belasten wollen. Die Dornfortsätze werden nach vorne unten gezogen.
    3. Ein aufgewölbter Rücken entsteht nur durch Hankenbeugung, also starkem Anspannen der Bauchmuskeln (definitiv nicht im deutlichem Vorwärts). Katzen machen den Katzenbuckel auch nicht während sie rennen. Dehnungshaltung ist ein Strecken des Rückens, weshalb nur die optische Täuschung uns Reiter glauben lässt, es wäre ein Beugen.
    4. Ich kann mich erinnern, dass eine Studie an der Uni Göppingen bewiesen hat, dass wenn der Kopf runter geht, ebenfalls der Widerrist runter geht. Das bedeutet keine Dehnung mit angehobenem Widerrist, alles Andere ist Wunschdenken. Bestimmt nimmt kein Pferd Schaden an gelegentlichem reiten in Dehnungshaltung, allerdings macht mich dieser hohe Stellenwert in der modernen Reiterei traurig. Sie wird immer als so gesund verkauft und bei genauerem hinsehen bleibt nicht wirklich viel positives übrig. Eventuell sollte ich erwähnen, dass die Reiter etwas zügelunabhängiger werden und dadurch weniger moderne „Anlehnung“ beibehalten können.

  6. Hallo Sonja, interessanter Kommentar! Die Frage ist, was Du unter Dehnung verstehst. Also wie weit. Ist bis Buggelenk für Dich noch keine Dehnung, wenn Du schreibst nach vorn unten strecken? Und: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir als Reiter auf einer „komplett gedehnten Oberlinie“ sitzen. Das wäre ja das absolute Extrem. Das mit den Bauchmuskeln unterschreibe ich – aber nicht den Zusatz mit dem Katzenbuckel. Denn eine Dehnungshaltung soll ja gerade eben nicht laufend im Übertempo (was zu dem Rennbild passt) stattfinden. Die Studie – das müsste man sich genauer ansehen. Nach dem Motto: „Glaube nicht einer Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast…“. Ich kenne sehr wenige Bilder von guten Dehnungshaltungen, und die Wahrscheinlichkeit, dass da nicht gute Beispiele getestet wurden, ist einfach groß. Sagst Du noch was zu Deinem beruflichen und Pferdeausbildungs-Hintergrund?

  7. Hallo Jeannette, Buggelenk sollte definitiv die unterste Grenze für die Pferdenase sein (wenn man auf Dehnungshaltung nicht verzichten möchte). Zu deiner zweiten Anmerkung: sobald ich meinen Kopf stark nach vorne unten strecke, merke ich einen deutlichen Zug über den Rücken, also genau dort wo der Reiter sitzt. Dies ist der typische Dehnungszug in der Muskulatur. Also ja, die Sitzstelle des Reiters ist unter Einfluss der Dehnung. Sie wird übrigens bis zum Kreuzbein wirken und damit das Becken beeinflussen. Übrigens hat Philippe Karl zu der Studie aus Göppingen einen Vortrag gehalten, kann man auf Wehorse ansehen. Neu ist das nicht, selbst Baucher hat schon solche Messungen unternommen. Zum Thema Katzenbuckel: ein richtiges muskuläres aufwölben des Rückens klappt nur in Lektionen, die einen extrem geringen Raumgewinn aufweisen, z. B. gutes Rückwärtsrichten, Piaffe, Galopp fast auf der Stelle. In den Seitengängen im Trab sind oft nur wenige Millimeter möglich. In der Dehnungshaltung ist sicherlich kein gebeugtes Lumbosacralgelenk vorhanden und somit kein aufgewölbter Rücken. Ich bin Pferdephysiotherapeutin und setze mich schon lange mit den Mängeln an der modernen Pferdeausbildung auseinander. Ich bin zu dem Schluss gekommen, nach „alten Richtlinien“ zu arbeiten, das heißt so wenig Hand wie möglich, Versammlung ist nicht das Ziel sondern tägliche Gymnastik, kein richtiges verstärken vor guter Versammlungsmöglichkeit. Bisher danken es die Pferde mit guter Gesundheit.