Ein Plädoyer für die kleinen Dinge beim Lernen mit dem Pferd

Pferde in Offenstall und Frau

 

Fotos: Klara Freitag

Ich faste momentan. Jedoch keine Lebensmittel, sondern ich bemühe mich, nicht zu meckern und nicht zu jammern. Für diesen Text jetzt brauche ich einige Zeilen Pause davon.

Denn ich kann eins nicht mehr sehen: Nämlich, dass in der Reiterwelt alle irgendwas Spektakuläres oder scheinbar Anspruchsvolles zeigen wollen. Und aus diesem Grund Bilder und Filmchen posten, auf denen irgendwas Freies ohne Ausrüstungsmaterial zu sehen ist. Oder irgendein Gereit, das tolle Lektionen zeigen soll.

Pferdeausbildung ad absurdum

Ob es dann wirklich da ist, was sie zeigen wollen und ob es wirklich gut ist – das scheint völlig egal. Hauptsache, man kann was zeigen, das als schwierig und wertig gilt. Das entspricht häufig nicht dem, was tatsächlich gerade die Aufgabe von diesem Paar wäre, wenn es wirklich um reale Pferdeausbildung gehen würde. Denn ansonsten wäre die Ausführung besser. Manchmal hat man den Eindruck, derjenige hat noch gar nicht verstanden, worum es in der Ausführung geht, aber macht und lobpreist das. Unperfektes wird in den Himmel gehoben. Es als ‚work in progress‘ zu bezeichnen fände ich völlig in Ordnung. Auch Zwischenschritte zu erklären und zeigen ist etwas ganz anderes, das meine ich nicht.

Pferd streicheln

Pferd und Mensch reel ausbilden

Diese Gipfelstürmer-Haltung von Sonntagsspaziergängern nervt mich, weil ich dieses Ziel grundfalsch finde. Es ist viel wichtiger, scheinbar kleinere Dinge gut zu machen, die aber Pferd und Mensch tatsächlich ein Stück weiter oder näher bringen. Es ist okay ein Sonntagsspaziergänger zu sein. Es ist auch okay, ein reiterlicher Gipfelstürmer zu sein. Aber etwas vorzugeben, was nicht da ist, oder noch nicht da ist, das macht einfach keinen Sinn. Es schürt nur eine seltsame Anspruchshaltung und Atmosphäre. Einer übrigens merkt es garantiert, wie wenig dahinter steckt, egal, wie viele applaudieren: Das Pferd.

Stolz auf Basisausbildung und Kleinigkeiten

Stattdessen würde ich mir mehr Inbrunst für Basisthemen wünschen. Mehr Stolz und Freude darüber, dass man sich mit solchen Kleinigkeiten beschäftigt und ihnen die Aufmerksamkeit gibt, die sie brauchen. Mehr positive Zugewandtheit für solche Themen von außen.

Pferd streicheln

Es geht um Details und das ziemlich lange

Jetzt am vergangenen Wochenende auf dem Reitkurs mit Claudia Butry ging es ganz häufig um die kleinen, unspektakulären Dinge. Meinerseits zum Beispiel um Details im Sitz (ich muss auf der rechten Hand  auf meine Längsachse achten, ich drehe mich da gern unbewusst leicht nach außen und das setzt Ailena sofort um und schnurrt mit der Hinterhand hinein,  ohne dass ich das will) oder Grundlegendes in der Basisarbeit (Chamonix’ ehrliches Herantreten ans Gebiss und durch den Körper sich bewegen von hinten nach vorn ist immer wieder und immer noch ein riesiges Thema für uns).

Feine Signale am Boden noch feiner geben

Oder auch letztens, als Horsemanshipausbilderin Sarah Brummer da war. Wir beschäftigten uns mit Sachen am Boden wie: „Kann ich das noch feiner fragen?“ Zum Beispiel beim Rückwärtsschicken die Finger noch wartender auf dem Fell nutzen. Ich legte sie zuvor tippend an die Brust und gab dem Pferd mit den Fingern eine Bewegungsidee nach hinten. Daraufhin treten die Stuten zurück, Ailena wie Chamonix. Ist ja auch schon eine feine Reaktion, die mir bisher reichte. Sarah zeigte mir, dass es mit noch weniger geht, allein durch das Berühren des Pferdes und ohne Druckverstärkung, einfach mit der Idee im Kopf warten!  Das Irre ist: Es funktioniert. Noch feiner fragen, noch mehr ohne die kleinste Druckverstärkung einfach warten, bis das Pferd die richtige Lösung anbietet. Das geht, wenn der Fokus stimmt und das Timing. Die Pferde haben das sichtlich gemocht. Wie schön! Das Pferd aus der Ferne zu schicken ist übrigens eine ganz andere Fragestellung und natürlich eine, die spektakulärer aussieht. Ich finde es aber auch sehr bereichernd, zu merken, dass ich sie mit einem feineren Fingerzeichen zurückschicken kann als bisher, auch wenn von außen kein Mensch sieht, ob mein Finger nur aufliegt oder drückt.

Ein Satz, den Sarah Brummer letztens aufgeschrieben hat, fällt mir da noch ein, den ich total wichtig finde:

 Für mich haben alle spektakulären Manöver, die man ach so häufig sieht, nicht die gleiche Wertigkeit, als wenn das Pferd mit ganzem Verständnis und Herz dabei ist.

Da gehe ich total mit. Wer ist mit im Team #Detailliebe? Und woran feilt ihr gerade?

 

P.S.: Auf wehorse habe ich über die zwei modernen Varianten von Zuckerbrot & Peitsche geschrieben. Es geht um Druckverstärkung und um das Clickern. Schaut mal rein!

9 Kommentare

  1. Daumen hoch zu diesem Beitrag. Du sprichst mir sowas von aus der Seele!!! Das ist echt den Finger in die Wunde (gerade auf insta 😉 gelegt!

    Was die Feinheiten angeht: ich hab mir den Spaß erlaubt, meinen Oldie auf Zeigefingergeszen statt mit longierpeitsvhe zu longieren. Hat gut geklappt, weil wir ein super eingespieltes Team sind.
    Beim Reiten arbeite ich eigentlich zu 99% an Basistehemen, wenn ich mal in die Bahn gehe. Meine letzte Bahnarbeitseinheit mit der Reitponystute hab ich z. B. Damit verbracht zu erarbeiten, wirklich gerade aus auf Linien abseits des Hufschlags zu reiten.
    Liebe Grüße von Astrid von wanderreitenundmehr

  2. Das Rückwärts treten lassen mache ich genauso und es ist einfach schön, wenn es so sanft ausgeführt wird! Und generell bin ich auch ein großer Fan der Basisarbeit, die leider wirklich von vielen unterschätzt, bzw. als langweilig empfunden wird. Dabei sinds genau die Details, die sie so interessant machen. Tatsächlich feilen wir gerade aber an keinen Details, sind aber trotzdem nochmal ganz zur Basis zurück gegangen, da ich in eine der Fallen der positiven Verstärkung getappt bin, die mir aber nochmal sehr deutlich aufgezeigt hat, wie vielschichtig das Training mit Clicker/positiver Verstärkung ist und dass es weit mehr ist als „unerwünschtes Verhalten ignorieren, erwünschtes belohnen“, wie ich anfangs auch dachte.

    Der Schenkeldruck ist übrigens nicht per se negative Verstärkung. Leider wird Druck häufig synonym für negative Verstärkung verwendet, dabei ist Druck erst negative Verstärkung, wenn er als unangenehm empfunden wird. Eine Schenkelhilfe kann daher auch über positive Verstärkung erlernt werden, indem der noch angenehme (!) Druck mit einer Belohnung verknüpft wird.

  3. 2. Versuch (den 1. hat anscheinend das Datennirvana verschlungen 🙁
    Absolut richtig, was du hier (und drüben) schreibst , insbesondere in Bezug auf Instagram!
    Sehr treffend!
    Eigentlich ist (Dressur) Reiten fast immer nur das feilen an Details. Meine letzte Bahnarbeitsstunde mit der Reitponystute hab ich z. B. Damit verbracht, zu üben, auf Linien abseits des Hufschlags wirklich geradeaus zu reiten. 😉
    LG Astrid von wanderreitenundmehr

  4. Hallo Astrid, vielen Dank für Deine Zeilen! Du hattest noch einen zweiten Kommentar geschrieben, weil Du dachtest, der erste sei weg. Das ist nicht so. Ich muss die Kommentare aber frei geben, damit sie sichtbar sind. LG! Jeannette

  5. Hi Svenja! Sanft war das Rückwärtstreten auch schon zuvor, ich glaube, niemand könnte von außen den Unterschied sehen. Dass Clickertraining vielschichtig ist und auch innerhalb des Clickertrainings diverse Philosophien und Strömungen zuhause sind, sehe ich auch so. Für den Artikel, der sich nicht an Clicker-Spezialisten richtet, finde ich die Verkürzung völlig okay. Das mit dem Schenkel sehe ich allerdings anders. Strenggenommen ist ein angelegter Schenkel, der weg geht, wenn die Reaktion eintritt, negative Verstärkung. Egal, wie sanft ich ihn einsetze. Ich setze einen Reiz – ich nehme einen Reiz weg. Das habe ich letztens auch mit Clickerexpertin Nina Steigerwald durchgekaut und sie kam zum gleichen Ergebnis. Es kann aber natürlich sein, dass Du nach einer anderen Clicker-Philosophie arbeitest und das daher anders einschätzt. Die sind sich ja auch nicht immer einig. Viele Grüße!

  6. Danke sehr für diesen tollen Beitrag, liebe Jeannette.

    Ich kann gar nicht viel mehr sagen, weil alles bereits gesagt ist. Weniger ist mehr und ja, auf diese kleinen, richtigen Schritte kommt es an!

    Viele liebe Grüße an dich und nun: Weiter fasten! 😉

    Miri

  7. Sehr guter und ehrlich wichtiger Beitrag, der immer mal wieder in die Runden und Foren „gedropt“ gehört✌️Damit allesamt mal wieder aufn Boden kommen. Es ist so befremdlich und es hat nix mit Pferdeausbildung geschweige seriöser Arbeit zu tun.
    Danke auch von mir für die treffenden Worte.

    Zu mir, ich arbeite immer wieder an der Losgelassenheit und meiner sehr leicht rückwirkenden Hand. Es ist so schwer für mich wirklich Verbindung zu halten, damit sich das Pferd abstoßen kann mit dem Resultat, dass ich dann zu lange Zügel habe, was genauso unangenehm und kontraproduktiv für das Pferd ist, wie eine feste rückwärts wirkende Hand. Die goldene Mitte, das mitfedern der Hände und immer Vorwörts denken. Manchmal in kurzen Reprisen klappt es und es ist ein so schönes Gefühl wenn du mit und in der Bewegung des Pferdes bist und nur ein Blick die Richtung bzw. das Gleichgewicht verändert. Wenn man spürt jetzt ist man kurz in der Lage das Pferd mit seinem Sitz zu unterstützen das sind für mich ganz kleine aber die schönsten Momente.

  8. Hallo Katrin, danke für Deinen Kommentar. Hab nix gegen, wenn Du den Artikel dropst dann und wann ;o)). Das mit den Händen ist ein Ding, das zwar super wichtig ist, an dem man sich aber auch gut festbeissen kann. Meist kommt es ja nicht durch die Hände, das Problem, sondern die Ursache ist im Sitz zu finden. Hast Du schon mal nach Mary Wanless Unterricht genommen? Ich finde das hilft da enorm! LG Jeannette