Wie ein saures Pferd wieder zu einem Traumpferd wurde

Fotos: Klara Freitag

Heute möchte ich Euch ein ganz besonderes Pferd aus dem Adventskalender für Pferdemenschen vorstellen. Es ist Dyri. Dyri hat eine heftige Lebensgeschichte und zum Glück die richtigen Menschen gefunden. Die er allerdings in diesem Jahr auf eine schwere Probe stellte. (Kurzer Einschub: Wer drüben von wehorse kommt – die Fortsetzung beginnt ungefähr mittig dieses Artikels!)

Junger gekörter Hengst, unreitbar

Dyri ist ein Isländer. Er wurde als junger Hengst gekört und sollte das Erbe seines imposanten Vaters antreten. Groß wurde er von seinem Züchter als Nachwuchsstar angekündigt, seine Qualität war herausragend: Ein Pferd mit sehr gutem Gangwerk, bester Abstammung, dazu so wüchsig, wie das die moderne Islandpferdezucht schätzt (hier ein Artikel seines Züchters).

Doch es kam ganz anders.

Als Dyri sieben Jahre alt war, stand er zum Verkauf. Als Wallach. Er stand auf einem Freizeitreiter-Hof, der nach der Rai-Methode arbeitete. Sie hatten Dyri als unreitbar erhalten. Wo er sein Trauma her hatte, wissen seine heutigen Besitzer nicht. Die Rai-Reiter hatten ihn so weit  wieder auf ihre Seite bekommen, dass er sich gebisslos reiten ließ. Er stieg jedoch immer mal wieder aus und machte nicht mehr mit. Bei der Bodenarbeit drehte er sich zum Beispiel blitzschnell um und zeigte dem Menschen sein Hinterteil. Er sei  mit Gebiss nie wieder reitbar, hieß es.

Dyri bekam seinen Spitznamen von Alizée Froment

In diesem Rai-Stall entdeckte ihn meine Freundin Philippa, die eine Ponyreitschule betreibt. Sie hatte ihre kleine Tochter dabei, fünf, sechs Jahre war diese zu diesem Zeitpunkt alt. Diese sah Dyri, der wie das Mammut aus Ice-Age aussieht und schloss ihre Arme um seinen Hals. „Den müssen wir kaufen“, sagte sie.  „Er war ein wunderschönes, imposantes Islandpferd, durch die Vorgeschichte günstig“, erinnert sich Philippa. Die Ähnlichkeit zu dem Mammut aus Ice-Age hat übrigens Alizée Froment festgestellt, als sie Dyri Jahre später bei uns im Kurs sah. Philippa kaufte Dyri, weil sie den Eindruck hatte, sie bekommt ihn wieder hin.

 

So war es dann auch. „Es gab Tage, da kooperierte er super, und andere, wo wir viel Rücksicht nehmen mussten“, erinnert sie sich. Dyri signalisierte seinen Reitern immer, dass sie über einen gewissen Punkt nicht hinausgehen dürfen. Er war und ist kein Pferd, das über Kraft und Dominanz zu gewinnen ist. Philippa gewann den Eindruck, dass er sein Trauma beim Eintölten erhalten hatte – denn ging es in diese Richtung, zeigte er extreme Stressreaktionen. Sie ritt Dyri daher jahrelang dreigängig. Im Unterricht lief er gebisslos, unter den Reitlehrern und auch im Gelände bald schon mit Gebiss. Vor drei Jahren wurde er mit viel Geduld eingetöltet. Das gelang, und Philippas Tochter lernte mit ihm das Springen über kleine Hindernisse.

Ohne Zügel Hufschlagfiguren im Galopp reiten

Dyris absolute Sternstunde mit Philippas Tochter habe ich drüben bei wehorse notiert – sie konnte ihn Anfang des Jahres komplett ohne Zaumzeug in allen Gangarten und vielen Hufschlagfiguren bei Lisa Röckener im Kurs reiten. Aus diesen zwei Kurstagen stammen auch alle Bilder auf dieser Seite.

Doch eines Tages in diesem Sommer 2018 stieg Dyri aus. Er blieb beim Reiten stehen, er bockte, er stieg. Für seine Familie aus heiterem Himmel. Natürlich suchten sie die Schuld erst bei sich, überdachten jeden Ritt, jeden Ausbildungsschritt, jeden vergangenen Tag. Philippa ist eine erfahrene Pferdefrau, sanft und klug, was die Pferdeausbildung betrifft. Sie holte sich Rat bei befreundeten Ausbildern und Trainern. Doch es blieb im Unklaren.

Das Kippen in alte Verhaltensmuster

Bis der Tierarzt feststellte, dass Dyri ein organisches Problem hatte: Er bekam schlecht Luft. Das war nicht aufgefallen, da er nicht hustete. Zudem diagnostizierte er ein altes Magengeschwür, das aufgrund der Luft-Thematik wieder Probleme machte. Vermutlich haben ihn diese Schmerzen und das nicht vorhandene Wohlbefinden in diese alten Verhaltensmuster kippen lassen.

Die jedoch nicht sofort wichen, als seine medizinische Behandlung anschlug. Dyri musste reiterlich wieder aus diesen herausgeführt werden. Philippa übernahm den Isländer wieder reiterlich, ihre Tochter durfte in dieser Phase nicht auf’s Pferd. Philippa vermutete, dass Dyri kein Pferd war, das mit Dominanz zu bekommen war. Genau das sagten ihr auch die Trainer, die sie mit ins Boot holte. Das waren zwei Gangpferdetrainer und ein befreundeter Horsemanshiplehrer.

Ian Bensons Rat

Von diesem, Ian Benson aus Neuseeland, stammt auch der Spruch, den ich zu Dyris Bild im Kalender kombiniert habe. Es geht darum, was wir zwischen den Momenten des Einsseins anstreben sollen mit unseren Pferden. Konkret ritt Philippa Dyri ins Gelände und stieg ab, wenn er nicht mehr weiterging. Sie führte ihn an und stieg wieder auf, wenn sie das Gefühl bekam, dass es jetzt geht. Sein Steigen war kein normales, über das man mal eben mit Durchsetzungskraft hinwegreiten konnte. Sein Blick wurde komplett anders, da war nichts Sanftes mehr, es war böse und drohend. Philippa macht nicht vieles Angst, was mit Pferden zu tun hat. Aber diese Warnung von Dyri war extrem. Sie nahm sie hin und suchte einen Weg, dennoch weiter zu machen. Mit dieser Strategie bewegte sie ihn weiter, zusätzlich zur medizinischen Behandlung natürlich. Wer so ein Pferd hat, probiert alles aus: Osteo, Akkupunktur, alternative Heilmethoden. Irgendwann gab es den Moment, dass Philippa fühlte: Du braucht jetzt nicht absteigen. Du kannst darüber hinweg reiten. Das klappte. Ihre zwei Gangpferdetrainer stiegen mit ein, ritten ihn auch. Immer häufiger konnte über das Abwenden das Steigen verhindert werden.

Es gab keinen Moment, an dem es Klick machte und alles wie zuvor war. Aber es wurde Stück für Stück besser. Irgendwann war er wieder ganz normal im Gelände reitbar, und irgendwann auch wieder in der Halle. Irgendwann war das Gefühl so gut, dass ihre Tochter wieder drauf durfte.

Und heute ist es wieder so wie zu ihrer Sternstunde: Die Tochter reitet wieder regelmäßig aus, sie reitet ihn auf Halsring und ohne alles auf dem Platz und das feine Pferdchen Dyri ist wieder ganz bei ihnen.

Dyri hat uns Achtsamkeit gelehrt

Ich habe schon öfters im Blog über Philippa geschrieben, und was ich von ihr lerne (Freude beim Reiten, zum Beispiel). Als ich sie im Interview zu diesem Artikel fragte, was sie daraus mitgenommen hätte, da war ich schon wieder verblüfft. Ihre Antwort lautete:

„Ich liebe ihn mehr als vorher, weil ich dachte, wir verlieren ihn.“

 

Sie hatte Zweifel zwischendurch, dass es wieder wird, erzählte sie.

„Ich bin dankbarer für alles, was klappt. Es ist ein Riesengeschenk so ein besonderes Pferd  zu haben. Ich hatte noch nie ein so feines Pferd. Das haben wir nicht reingeritten, das ist er einfach! Er hat uns so viel beigebracht. Dyri hat uns so viel Achtsamkeit für Pferde vermittelt.“

Zum Beispiel, dass man nicht schlecht gelaunt im Sattel sitzen darf. Das spiegelt Dyri nämlich so extrem, dass er dann seine Zusammenarbeit aufkündigt. Zwischen Tochter und Mutter herrscht daher nun auch die Vereinbarung, dass auf Ausritten keine Streitgespräche erlaubt sind.

Ich weiß nicht, wieviele Pferdeleute doch innerlich über ihr Pferd geschimpft hätten, sich leid getan hätten, das sowas sie betrifft. Zu Beginn dieses Artikels habe ich auch geschrieben, dass Dyri seine Menschen auf eine Probe stellte. Wie anders klingt da Philippas Resümee! Ihr Resultat ist komplett positiv und da ich sie kenne, bin ich überzeugt, dass das auch genau so ist, und es mehr als Worte sind. Ich bin ziemlich froh, dass Menschen wie Philippa in meinem Leben sind. Danke!

 

Das allerschönste Bild von Dyri ist nur auf zwei Sachen zu sehen: Als Startseite auf dem Handy seiner Besitzerin und auf der Seite vom ersten Dezember des Adventskalenders! Neugierig? Guck hier, da ist er auf der zweiten Seite sichtbar. Und auch der Spruch von Ian Benson dazu. Einem der klügsten Horsemanship-Trainer, die ich kenne.

5 Kommentare

  1. Eine sehr tolle, ermutigende Geschichte, die einem aufzeigt, auf jedes Lebewesen einzeln einzugehen. Die Geschichte zu respektieren und entsprechend zu agieren.
    Nie die Geduld zu verlieren, immer offen sein und alles anzunehmen, wie es angeboten wird.
    Und wenn man feststellt, dass man nie am Ziel ist, die Erkenntnis erlangt, dass der Weg und das Gemeinsame das Ziel ist

  2. Hi Nicole, ja, das ist wirklich eine Geschichte die Mut macht und soviel Empathie und nicht aufgeben und dabei positiv bleiben in sich hat. Finde ich auch! Liebe Grüße!

  3. Das ist wieder eine von diesen Fällen, wo Pferd und Mensch sich zusammenfinden. Er hätte wahrscheinlich mit keinen anderen Menschen diesen Chance bekommen, und andersrum hat er seinen zwei Frauen so unglaublich viel geschenkt. Ich habe Dyri persönlich kennenlernen dürfen, er ist ein wunderbarer, gewiefter Kerl, und die Partnerschaft zwischen ihm und seiner tollen Besitzerin ist einmalig.