Ganz eifrig ist er heute: Mescalino, der mal völlig sauer war. Foto: Inge Vogel, www.pferdiathek.de
a life with horses & Saskia Gunzer
„Moment, ich habe gerade die Pferde rausgebracht, bin gleich im Auto“, sagt Saskia Gunzer zu mir, und der Novemberwind lässt das Telefon rauschen. Ich warte kurz und denke an meinen Besuch bei ihr. Zwei Jahre ist es her, dass ich die Langzügel-Expertin daheim besuchte, weil ich von der Geschichte ihres Ponyhengstes gehört hatte. Ein saures Sportpony, das sie überzeugen konnte, dem Menschen wieder zu vertrauen.
Saskia sitzt irgendwann im Auto, und wir reden lange über ihren letzten Kurs in Moskau und darüber, wie Pferde zuhören – oder auch nicht. Sie spricht sehr schnell, mit norddeutschem Ton und die Macher-Energie schwappt nur so durchs Telefon. Nachzulesen ist das HIER im pferdiathek-Magazin (das genauso viel Spaß wie a life with horses macht und den Schwerpunkt auf Fachwissen setzt – im Blog erzähle ich ja eher ein bisschen über das, was hinter den Kulissen noch so passiert und wie ich selbst die Dinge so sehe). Dann gibt sie mir noch einen Tipp für die Winterarbeit, den ich für die Januar-Ausgabe der Reiter Revue aufgeschrieben habe.
Damals, bei meinem Besuch bei ihr, schaute ich ihr bei der Arbeit mit Vollblutaraber Dimitri und ihrem Reitponyhengst Mescalino zu. Sie ist exzellent in dieser Arbeit, so akkurat, und so sehr auf das motivierte Arbeiten zudem bedacht. Ich gucke Ihr noch lieber zu als den ganz großen Namen in dieser Disziplin in Deutschland. Und das alles kann sie, als so-gut-wie-Autodidaktin. Wahnsinn.
Und das hier ist die Geschichte von ihrem Wallach, wie ich sie nach meinem Besuch aufgeschrieben habe:
Er habe einen Charakter wie ein Mantafahrer mit Fuchsschwanz, sagt Saskia Gunzer, lacht und schaut den Prachtkerl stolz an. Als sie ihren Ponyhengst bekam, war er bissig und unter dem Reiter völlig sauer. Über eine Verwandlung.
Der erste Teil seines Lebens: Die Box ist klein, die Fenster sind verkleidet. Es soll kein Licht hineinkommen, das Mücken anzieht. Ein Hengst steht darin, Ekzemer. Geht die Box auf, kommt ein Pferd mit angelegten Ohren auf einen zu. Wer nicht aufpasst, hat blaue Flecken am Arm. Das Tier beißt. Ist der Hengst einmal in die Halle buxiert, geht er kaum vorwärts. Man sieht an vielen kahlen Stellen im Fell, wo und wie die Sporen eingesetzt werden.
Der zweite Teil seines Lebens: Eine Reithalle nördlich von Hamburg. Draußen fließt der Regen in Strömen, ein grauer Tag, ein Tag zum Mürrisch sein. Doch in der Reithalle sieht man ein fröhliches Paar: ein brauner Hengst, absolut im Lack stehend, und seine Besitzerin, schlank, flink ist sie, und sie sagt gern „tüchtig!“ zu ihm, wenn sie ihn lobt. Steht sie dabei neben ihm, dann spitzt der Hengst die Ohren und hält den Kopf schief. Als ob er frage: „und, wo bleibt mein Leckerli?“ In nur einer Arbeitseinheit legen die beiden einen Querschnitt davon hin, was Pferdeausbildung heißen kann: Der Hengst piaffiert an der Hand. Er trabt und traversiert am Langen Zügel. Sie reitet ihn. Zum Schluss nimmt die schlanke Frau mit dem grauen Haar Sattel und Trense ab. Der Hengst legt sich auf ein Zeichen hin. Wenn sie ihn wieder laufen lässt und mit der Gerte neben sich weist, kommt er angelaufen.
Dieser braune Hengst ist Mescalino, ein gekörter Reitponyhengst. Der erste Teil ist ein Ausschnitt aus seinem Leben als Turnierpony, so wie Saskia Gunzer, seine jetzige Besitzerin, sich an ihn erinnert. Damals kannte sie ihn, weil sie als Trainerin in den Stall kam, in dem auch Mescalino stand. Als die damalige Besitzerin umzog, bat man sie, sich um den Hengst zu kümmern. Drei Jahre lang arbeitete Saskia Gunzer mit Mescalino und formte ihn zu dem Pferd, das er heute ist. Mittlerweile gehört er ihr.
„Ich kann nicht dem Pferd Schuld gebe, für nichts! Wir wollen etwas von denen und nicht die von uns.“
Die Ausgangslage für Saskia Gunzer war, dass sie einen Reitponyhengst hatte, der sich aggressiv im Umgang verhielt und unterm Sattel keinen Schritt tun wollte. Zudem hatte er einen Zungenfehler, streckte die Zunge übers Gebiss und ließ sie raushängen. Sie änderte als erstes die Haltungsbedingungen. Denn: „Meine Pflicht ist den Rahmen so gut wie möglich zu gestalten. Haltung, Futter und Ausgleich zur Arbeit müssen gut sein, nur dann kann ich etwas von ihm verlangen!“, erzählt sie. Denn ihre Grundhaltung sei: „Ich kann nicht dem Pferd Schuld gebe, für nichts! Wir wollen etwas von denen und nicht die von uns.“
Der Hengst bekam eine helle Box, Weidegang und das Ekzem wurde erfolgreich behandelt. Die ersten Arbeitsschritte mit Mescalino waren absolute Basisarbeit. Mescalino lernte, sich an den Ohren anfassen zu lassen und sich ein Halfter anzuziehen zu lassen. „Meine Haltung war stets: Du kannst Zucken, aber ich bleibe bei meinem Thema, ich habe den längeren Atem.“ Sie strafte ihn nie, ignorierte aber seine Spielchen. „Wenn man im Kopf hat: ‚ich habe unendlich Zeit, von mir aus bis heute Abend’, dann verhalten sich die Pferde ganz anders, dann geht es insgesamt zügiger. Sie spüren diese Haltung.“
Sie setzte sich ihre Ziele mit diesem Pferd ganz klein. Saskia Gunzer ist als Langzügel-Expertin in Deutschland bekannt und arbeitet seit vielen Jahren als Ausbilderin. Also holte sie den Hengst auch vom Boden aus ab, machte viel Arbeit an der Hand, Arbeit am Langzügel und ging ins Gelände. „Eigentlich ist Mescalino ein ganz braver, introvertierter Typ“, sagt sie. Das hübsche Reitpony ist ein recht typischer Fall: Er ist talentiert, seine Karriere begann vielversprechend. Als junges Pony lief auf dem Bundeschampionat, später dann auf FEI-Prüfungen. Dieses schicke Pony zählte also zu dem erlesenen Kreis von Deutschlands besten Sportponys.
„Es wird generell zu wenig gelobt!“
Wieso lief das später schief? Die Ausbilderin findet, dass es oft falsche Einschätzungen des Reiters sind, die zu solch frustrierten Pferden führen: „Viele Pferde verstehen einfach nicht, aber interpretiert wird das oft als: „Der will nicht!“ Deshalb werden dann heftigere Mittel eingesetzt, Gerte, Sporen, andere Gebisse: Die Zurechtweisungen bringen dem Pferd, das sowieso schon nicht versteht, nur noch Schmerz.“ Und sie schlussfolgert: „Solche Pferde müssen einen Weg finden geistig zuzumachen, um den Schmerz zu ertragen. Zudem haben sie ja keinerlei Erfolgserlebnisse!“ So ähnlich war das wahrscheinlich auch bei Mescalino: „Er hat sich in seiner früheren Reitkarriere eben stark gemacht durch das Entziehen: Als er den Kopf hochschmiss, wurden eben Schlaufzügel eingesetzt. Daraufhin zog er die Bremse und ging gar nicht mehr vorwärts.“ Wichtig ist Saskia Gunzer, andere Reiter nicht zu verteufeln: „Meist ist das Hilflosigkeit, die wissen nicht mehr weiter.“
Beispiel Galopp-Pirouette
Ein Beispiel für eine typische Stress-Lektion, sei die Galopp-Pirouette. Stress-Lektion deshalb, weil das Pferd oft nicht versteht, worum es geht und es total demotiviert wird. „Viele Trainer führen die Galopp-Pirouette ein, indem sie die Pferde ewig galoppieren lassen. Traversartig wird die Volte verkleinert und wenn das Pferd fast schon nicht mehr kann, dann soll er sich auch noch auf dem Teller drehen. Klappt mal ein Sprung, dann heißt es nicht ‚fein, genug!’. Nein, dann muss es noch mehr sein. Und kommt es dann zu Ausfallschritten, dann wird dem Pferd unterstellt: ‚Der ist faul!’ Das wird dann noch mal und noch mal geübt!“ erzählt Saskia Gunzer, und man merkt ihre Leidenschaft bei diesem Thema. Es würde generell zu wenig gelobt und vor allem nicht der richtige Moment abgepasst, wann es genug ist. „Beim Loben wird doch maximal einmal die Hand einmal auf den Hals geklopft!“ sagt sie und lässt ihre flache Hand auf den Tisch klatschen. „Ist doch klar, dass da die Motivation verloren geht!“
Sie selbst erarbeitet die Lektion aus der Schrittpirouette heraus. Kann das Pferd sowohl die Schrittpirouette als auch das Angaloppieren aus dem Stand, dann kombiniert sie beide Lektionen und lässt das Pferd in der Schrittpirouette angaloppieren: „So kommt kein Stress auf! Und ich lobe sehr viel – wenn es minimal in die richtige Richtung geht, dann fange ich an zu loben. Als Ausbilder darf ich mich nicht ereifern, Wut darf nie eine Rolle spielen!“
„Viele Pferde verstehen einfach nicht, aber interpretiert wird das als: „Der will nicht!“
Den Zungenfehler behob sie mit viel Geduld: Sie touchierte sanft aber lästig die Zunge, wenn der Hengst sie heraushängen ließ und sagte dazu „Zunge rein!“. Als der Hengst auf die Idee kam, die Zunge einzuziehen, hörte das Touchieren augenblicklich auf. Der Zungenfehler hatte sich aus seinem Vorleben manifestiert. Auch wenn jetzt nicht mehr zu viel Druck auf das Maul einwirkte, ließ Mescalino immer wieder die Zunge aus dem Maul hängen. Diese Korrektur funktionierte, und irgendwann musste sie nur noch „Zunge rein!“ sagen, und er nahm sie wieder ins Maul zurück. Mittlerweile ist der Zungenfehler gar nicht mehr zu sehen.
Mescalinos absoluter Vertrauensbeweis – daran war vor Jahren nicht zu denken. Foto: Inge Vogel, www.pferdia.tv
Saskia Gunzer tritt zum Beispiel auf der Equitana oder der Hanse Pferd als Langzügel-Expertin auf. Ihr Vollblüter Dimitri ist bekannt für seine hervorragende Ausbildung am Langen Zügel, er springt beispielsweise Einerwechsel am Langen Zügel. Doch erst, als Saskia Gunzer den Hengst für sich „als Projekt ansah“, und nicht mehr im Hinterkopf hatte, dass Mescalino mal in der Öffentlichkeit gezeigt werden sollte, machte der Reitponyhengst einen weiteren Riesenschritt in der Ausbildung nach vorn.
„Mescalino hat ungefähr vor einem Jahr angefangen, die treibenden Hilfen anzunehmen, den Gertenimpuls im Vorwärts einzusetzen.“ Natürlich funktioniert ihre Arbeit nicht nur durch Lob, sondern sie setzt dem Hengst auch klare Grenzen: „Ignoriert er meine minimale Beinhilfe, dann gibt’s eine klare Ansage, wie ein Gewitter mit dem Bein!“ Bei diesem Pferd nutzt sie aber nie den Sporen – damit hat Mescalino so schlechte Erfahrungen gemacht, das würde sein Vertrauen zunichte machen. Vertrauen, kleine Schritte in der Ausbildung und punktgenaue Konsequenz, das sei der Schlüssel zu diesem Pferd gewesen.
„Auch wenn er richtig mitmacht, ich nutze das nie aus!“ erzählt Saskia Gunzer. Insgesamt habe es drei Jahre gedauert, bis sie zum Reiten gekommen sei und es beim Draufsitzen nicht nur ums Thema „Vorwärts!“ ging. „Na klar würde ich mir wünschen, auch im Sattel mal eine Seite im Schulterherein komplett runterschnurren zu können. Aber ich darf den Bogen nicht überspannen, keine Ausbildungsschritte überspringen – das ginge nach hinten los.“
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Erstmals erschien dieser Text im Jahr 2013 als Teil meiner Titelgeschichte zur Motivation des Pferdes in . „Der Pferdemarkt“. Markus (der damals den Pferdemarkt geleitet hat): Danke, dass Du das Vertrauen hattest, mich stets einfach machen zu lassen und so viele tolle Pferdemenschen besuchen zu können. Dieses Titelthema zur Motivation, woraus dieser Text stammt, war ein absoluter Höhepunkt, ich werde demnächst noch weitere Texte daraus posten. Saskia: Bin froh, Dich, Deine Pferde und Deine Arbeit kennen zu dürfen! Inge: Danke für die schönen Bilder!