Fee ist tot.
Es kam alles ganz plötzlich. Ich war ja gerade dabei, sie wieder langsam anzutrainieren, ihr wisst, dass ich letztens erst von der Boxenruhe erzählte.
Doch es kam alles anders, und es hatte nichts mit dieser Lappalie zu tun, die uns die Boxenruhe beschert hatte.
An der Longe rutschte sie an Tag Eins plötzlich weg, obwohl der Boden gut war. An Tag Zwei konnte ich sie nicht mehr zum Putzplatz führen, ohne den Eindruck zu haben, sie fällt mir gleich hin. Es fiel ihr so schwer, die Hinterbeine zu koordinieren, sie konzentrierte sich für jeden einzelnen Schritt. An Tag Drei ging sie nur noch unter größter Konzentration langsam von einer Seite des Offenstalls zur anderen. An Tag Vier konnte sie nicht mehr aufstehen, ihre Hinterbeine machten einfach nicht mehr mit. An Tag Fünf gab es keinerlei Koordination der Hinterbeine mehr. Ich habe sie einschläfern lassen. Sicher: Es war etwas Neurologisches. Vermutung: Tumor, der auf die Nerven drückte.
Wir haben alles Mögliche versucht. Wir haben ihr etliche Infusionen gegeben, Osteopathen gerufen, falls doch nur das Rückenmark gestaucht gewesen wäre. Alle arbeiteten zusammen, wir haben Fee mit dem Traktor aufgestellt und umgedreht, ihr wieder Medikamente gegeben – letztlich konnte ich nichts mehr medizinisch tun.
Es waren zweiundzwanzig gemeinsame Jahre.
Vor 22 Jahren habe ich sie ausgesucht. Auf einem Vermarktungstag für Jungpferde. Ich sehe es noch vor mir, Fee beim Freispringen, wir – Mutter, Vater, Tante, Oma, ich – stehen in der Mitte der Halle. Alle ahnungslos. Und gucken zu und gucken zu. Bis der Verkaufsleiter irgendwann sagte: „Ist es jetzt genug?“ Wir wussten nicht, dass wir Stopp sagen sollten, und die arme Fee musste etliche Mal über das Hindernis springen.
Junges Mädchen bekommt junges Pferd
Es war genau so, wie man es nicht machen sollte: Junges Mädchen bekommt junges Pferd. Es ist zunächst gehörig in die Hose gegangen. Ich dachte, ich kann das mit jungen Pferden, weil ich half, Ponys anzureiten. Nur war das Pferd eine komplett andere Nummer. Schnell hatte sie raus, mich steigend und bockend in den Sand zu befördern. Als wir das hinter uns hatten – es dauerte Jahre, bis wir ein Team waren – tat sie alles für mich.
Alle Grenzen, die wir hatten, waren meine Grenzen. Sie dachte immer mit, sie bot immer an, sie war unermüdlich.
Zuneigung? Sie entschied.
Sie suchte sich ihre Leute aus. Ich konnte eine Vorauswahl treffen, wer dieses Pferd reiten durfte – aber letztlich fällte sie die Entscheidung. Es gab niemanden am Stall, der Fee neutral gegenüber stand. Entweder, man fand sie fantastisch, oder man sah Fee lieber weit weg von sich selbst.
Vor einem Jahr entschied sie, dass meine kleine Tochter sie auch reiten durfte. Ganz vorsichtig trug sie das Grundschulkind durch die Halle. Bemerkenswert, wenn man weiß, was für ein Geschoss Fee sein konnte. Aber ich wusste, ich kann ihr da vertrauen.
Jetzt, diese Tage danach – es ist, als ob ich >Pause< gedrückt hätte. Ein stumpfer, trockener Schmerz. Leer irgendwie.
Das Einzige, was mir wirklich etwas gibt in letzter Zeit: Wenn Menschen, die Fee kannten, über sie sprechen. „Sie war so ein besonderes Pferd“, sagte meine Tierärztin, als wir bei meinem toten Pferd saßen. Ich antwortete, „ja, sie war so klug, sie wusste es immer besser!“ „Sie war zu klug, manchmal!“ sagte meine Tierärztin, und wir mussten beide lachen, schniefend.
„Sie war ein sehr geliebtes Pferd, wie man gestern sehen konnte“, schrieb mir Lotta. Ja. Das stimmt. Lotta meinte damit die Menschen, die am Tag vor dem Einschläfern gekommen waren. In diesen heftigen Tagen, an denen es Fee immer schlechter ging, wechselten die Zeiten, die ich alleine mit ihr verbrachte mit Zeiten, zu denen bei ihr im Stall ein paar mehr Menschen waren. Abwechselnd saß jemand bei uns. Hielt die Infusion hoch. Schaute, was man ostheopathisch noch machen konnte. Brachte etwas zu Essen, Tee. Das war sehr schön.
Es entsteht eine seltsame Energie, etwas Magisches, wenn es um alles geht.
„Sie war so eine tolle Charakterstute und so Pferde mag ich immer gern“, schrieb mir der Osteopath, und die Osteopathin (ja, es waren zwei da) sagte „sie ist eine Kämpferin“.
Natürlich weiß ich das alles. Aber es ist so schön, wenn andere Menschen in diesem Pferd das sehen, was ich immer darin gesehen habe.
Zwei so wahre und treffende Sätze sagte mir Sara Oliveira, als sie bei uns war, um zu unterrichten:
„Wenn Du einen Hund verlierst, dann geht ein Teil Deiner Familie.
Wenn Du ein Pferd verlierst, dann geht ein Teil Deines Lebens.“
-Sue Oliveira-
Ihre Mutter habe das stets so gesehen, deshalb steht auch Sue Oliveira an den Zeilen dran.
Ich muss an Fee denken, wie ich sie mit zum Studieren genommen habe, rechts im Anhänger das Pferd, links meine Vespa und meine Zimmerpflanzen. Wie mir dieses Pferd, und der westfälische Bauer beigebracht haben, ordentlicher zu reiten, als ich das bisher kannte. Ich muss an Fees erste Tochter denken, die auch bei uns groß geworden ist. Diese schöne Rappstute, viel ausdrucksstärker als ihre Mutter, und mit dem gleichen starken Charakter ausgestattet. Ihre späteren Besitzer nannten sie ‚die Randale-Elli’. An meinen Ponywallach, der jahrelang mit Fee gemeinsam lebte.
Es war meine Tierfamilie: Devil das Pony, Fee das Pferd, und Nike, meine Hündin. Ich habe sie alle von Aachen aus mit nach Münster und mit nach Berlin geschleppt. Dann aufs Land nach Rheinland-Pfalz und dann wieder zurück nach Aachen.
Fee ist die letzte von ihnen, die gegangen ist.
T61, das Mittel für drüben.
In meiner Erinnerung ist das eine Szene in Zeitlupe:
Die Fläschchen mit T 61. Die geschickten Handbewegungen meiner Tierärztin. Ich sage Fee ständig, was für ein gutes Pferd sie ist. Wische ihr über Stirn und Augen. Bemühe mich, ruhig und gelassen zu klingen.
Als es vorbei ist, schauen wir uns an, die Tierärztin und ich. Reichen Taschentücher.
Ach. Ich kann mir so gut vorstellen, wie sie aufstand, sich schüttelte, kurz uns Heulsusen nachschaute, und sich auf den Weg machte.
Fee, Du tolles Pferd.
Danke.