Aachen, das CHIO und die Tierquäler-Bilder auf Facebook

Fotos: Klara Freitag

Das vorherrschende Thema auf dem CHIO Aachen am Samstag und Sonntag unter den Besuchern und Medienleuten war: „Was sagst Du zu den facebook-Bildern?“ Die Gerüchteküche war eifrig dabei, wo die Tierquälerei-Bilder überhaupt herkamen, wen sie zeigten und so weiter. Eine Analyse – des Skandals, der Reiter, der Medien. Und was wir alle tun können.

 

Erster Eindruck: Waren wir auf dem gleichen Turnier?

Ich war auch überrascht.

Denn die Bilder entsprachen so gar nicht meinem Eindruck von diesem Jahr. Und ich bin kritisch, ich berichte seit mehr als zehn Jahren über Rollkur, LDR & Co. Vieles, was ich vom Turnier in Aachen gesehen habe, war in der Quersumme schön. Besser als in vergangenen Jahren. Relativ ausgedrückt. Denn übliche Verdächtige für Showgestrampel, zum Beispiel in der Pferd&Sinfonie-Show, habe ich natürlich gesehen. Den Abreiteplatz fand ich unauffällig, und zwar bei jeglichen Stichproben tagsüber.  Es gab auch so einige weniger bekannte Reiter auf dem Abreiteplatz, die mir sehr gut gefallen haben. Therese Nilshagen mit Dante Weltino zum Beispiel.

Was war schlecht? Ja, da ging nicht jedes Pferd über den Rücken (gut, das ist untertrieben) und da war auch mal eine Hand fies ruppig (das ist nicht untertrieben). Aber das war alles definitiv NICHT im tierschutzrelevanten Bereich, was ich gesehen habe (ich war nicht 24 /7 da und ich weiß natürlich nicht, was 24/7 da gemacht wird).

Um genau zu sein: Vier Arbeitstage habe ich auf dem CHIO verbracht. Ich bin umhergeflitzt, habe Dressur gesehen, Vielseitigkeit, Springen. Bin immer wieder mal stehen geblieben an den Abreiteplätzen, denn das ist für mich der interessanteste Ort. Doch: Ich habe da nicht kampiert, ich war nicht morgens um 7 Uhr da. Aber ich habe da auch nicht mit rosaroter Brille auf und Sektchen in der Hand rumgestanden oder mich auf Sofas rumgefleetzt.

Dieses Reiter- und Pferdepaar gehörte zu den schönen Seiten die es zu sehen gab: Dante Weltino & Therese Nilshagen.

Wer hat die Fotos gemacht?

Also habe ich die Frau an ihrem Stand besucht, die die Bilder gemacht und bei facebook eingestellt hatte (hier sind diese zu sehen). Es klärte sich einiges: Die Bilder sind von ihr (das wurde z.T. bezweifelt), ich habe ein paar weitere auf ihrem Handy gesehen (auch umbeschnittene).  Ich habe manche Reiter erkannt, andere nicht. Ich halte es für glaubwürdig, dass das so aussah an diesen zwei Morgen, an denen sie die Bilder gemacht hat.

Neben den Fotos ging es vor allem darum, dass der zuständige Steward und ein Verfechter für gutes Ausbilden, der auch angesprochen wurde, nicht reagierte. Es war leicht herauszulesen, dass es sich um Christoph Hess handelt. Dieser hat inzwischen auch Stellung bezogen, zum Beispiel hier.

Starke Rücken: Fehlanzeige

Dass Christoph Hess reagierte, wie er reagierte, überrascht mich nicht. Das passt ins Bild. Wie war doch mein frommer #betterhorsesport Wunsch? Wir brauchen starke Rücken. Bei Pferden und Menschen. Der gilt auch hier. Man kann den ja vielleicht auch noch im Alter entwickeln.

Schöne Seiten aus Aachen: Franziskus mit Ingrid Klimke auf dem Abreiteplatz.

War es schlimm? Jein.

So sehr ich die Wut und den Aufschrei im Netz verstehen kann, mein genereller Eindruck vom Turnier ist und bleibt ein anderer.

 

  1. Die Tendenz, ordentlich zu reiten, ist da. Es war gesellschaftsfähiger, vor wenigen Jahren noch, rollkurend seine Bahnen zu ziehen. Das ist nicht mehr so.
  2. Ich kann auch aufgesperrte Maulbilder von kauenden Pferden fabrizieren. Weder ein offenes Maul noch ein hinter die Senkrechte kommen ist die Garantie für beschissenes Reiten. Richtig ist: Es kommt auf das Gesamtbild an. Es gibt Reiter, die nicht richtlinienkonform reel reiten und dennoch eine echte Beziehung zum Pferd haben und fair reiten, das Pferd nicht gegen sich aufbringen, es motiviert halten. Schublade auf und zu funktioniert nicht durchgängig. Das ist dann kein reeles Reiten im Sinne von klassischer Reitlehre oder Reitkunst, aber es ist auch nichts, das Tierschutzrelevanz besitzt. Das wollte ich auch viele Jahre nicht hören, nicht sehen, aber auch das ist ein Teil der Wahrheit. Macht es komplizierter, ja. Ich weiß, dass viele von Euch diesen Punkt anders sehen. Und ja, man kann dieses Statement als Entschuldigung für schlechtes Reiten nutzen. So ist es aber nicht gedacht.
  3. Unter den fotografierten Reitern sind welche, die ich generell ordentlich arbeitend finde. Und welche, die das nicht tun und tatsächlich mehrfach durch beschissenes Reiten auffallen. Deshalb kann ich dem Aufschrei nur bedingt zustimmen. Tatsächliches Beurteilen geht nur am sich bewegenden Pferd. Vor Ort am besten, denn Videobeurteilung hat auch klare Nachteile. Ich habe es nicht gesehen – deshalb bleibt meine Analyse so bruchstückhaft und relativierend, wie sie hier zu lesen ist.

Der wahre Skandal ist unauffälliger

Viel ärgerlicher, weil das eine Tatsache ist, die niemand zudeckt, die gelebt wird und doch so beschämend ist: Reelles Reiten wird nicht genug wertgeschätzt im Punktesystem. Immer wieder war in den Prüfungen zu sehen: Showgestrampel wird belohnt, vom Publikum wie von den Richtern.

Ein Beispiel: Die Flutlicht-Dressurkür von Samstagabend. Auch da hat Showgestrampel vor reelem Reiten gewonnen. Ingrid Klimke schaffte es dennoch mit ihrem reellen Reitstil auf Platz 2. Und freut sich. Sportsgeist. Ich war erst verärgert, muss ich zugeben. Habe mich gewundert, weshalb die Reiterin auf Platz 1 mit Standing Ovations vom Publikum und viel zu vielen Punkten belohnt wird für so eine Sch… Reiterei.

Ingrid Klimke mit Springpferd Parmenides. Das war auch auf dem Dressur-Abreiteplatz – sie hatte es eilig!

Das menschliche Drama dahinter

Andere, Deutsche, haben sich mit ihrer Kür auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, und das ist vorsichtig ausgedrückt. Allerdings, und hier kommt wieder so ein ABER, das schwach klingt, doch meinerseits wohlbedacht ist: Wenn Du die Menschen dahinter ein wenig kennst und weißt, was sie wollen, dann sieht man auch das relativ. Dann ist da ein Bemühen spürbar, das offensichtlich absolut noch nicht der Umsetzung entspricht. Vielleicht ist das bei der erstplatzierten Amerikanerin ja genauso. Wer weiß – sie kenne ich nicht.

Ingrid Klimke im Gelände. Bei wehorse habe ich im Magazin aufgeschrieben, was sie beim Abgehen des Geländes beachtet. Enthält witzige Anekdoten, versprochen!

Wo Nähe schadet

Diese menschliche Komponente ist auch nicht ganz ohne, und je näher man den Reitern ist, desto stärker wirkt sie (Journalisten sind Menschen, Blogger ebenso, auch wenn sich der ein oder andere um mehr oder weniger Objektivität bemüht). Das ist gut für’s Verständnis, aber kann den Blick vernebeln. Deshalb ist zu viel Nähe gar nicht gut. Manchmal habe ich den Eindruck, dass da zu viel Nähe ist, generell, auf dem Fachmagazinmarkt. Oder aber es wird direkt eine feindliche Position eingenommen, von den Medien, die sich bewusst gegen Sport platzieren wollen. Beides ist nicht gut. Ich wünsche mir  mehr Differenzierung. Und immer wieder neu hinsehen und neu einordnen. An dieser Stelle Applaus für zwei Medien, die das häufiger gut schaffen: Eurodressage und The Horsemagazine.

Traurige Geschichten und schlechtes Reiten

Das mit der Menschlichkeit ist ja auch noch so eine Sache: Es gibt gut reitende Arschlöcher und es gibt schlecht reitende nette Menschen. Bei den letztgenannten spielt meiner Erfahrung nach viel Druck und Enttäuschung im Leben sowie Vorsicht eine Rolle. Das sind oft ganz schön traurige Geschichten dahinter. Es gibt auch Menschen, über die ich deshalb kein Wort verliere.

Nur wenn man so richtig Glück hat, trifft man auf nette Menschen, die gut reiten. Im Leben um einen herum und auch an der Spitze. Wer einen davon findet: In Ehren halten!

Gute Reiter, die keiner nennt

Ein anderer Reiter in der Flutlichtkür, ein Marokkaner namens Ismail Jilaoui, der wirklich reell sein Pferd zeigte, landete irgendwo ganz hinten. Klar hatte der auch viele Fehler gemacht, aber man sah: Das Pferd ist vor ihm, an den Hilfen, mit Rücken, mit Brustkorb angehoben, mit Lastaufnahme, mit schmal fußendem Hinterbein, der Reiter fein einwirkend, das Pferd fein reagierend. Aber: ein recht normales Pferd und ein Reiter ohne Namen und auch noch aus Marokko!

Die Rolle der Medien

Bleibt ein Wort zu den Medien, zu meinen Kollegen, zu mir selbst. Wir müssen uns an die Nase packen. Wenn da morgens eine Ausstellerin, eine zahlende Kundin des Turnierveranstalters, am Abreiteplatz steht und Missstände abbildet, aber kein Medium gleichzeitig da herum läuft – dann hat der Auftrag Journalismus nicht funktioniert. So sehr ich meinen Text zu Ingrid Klimke im Tagesspiegel selbst mag und wichtig finde – es ist einfach, zu applaudieren. Worauf ich in diesem Text stolz bin, sind die drei, vier Zeilen die dazwischen erläutern, wie die Diskussion im Pferdesport aussieht.

Außerdem: Es gibt nicht nur Ingrid Klimke, so wichtig sie für uns alle und den Reitsport an sich auch ist momentan. Es gibt noch mehr Leute, die gut arbeiten. Diese brauchen Wahrnehmung, Wertschätzung und Applaus.

Die Pflicht, gutes Reiten weiterzugeben

Wer es vermag, gutes von schlechtem Reiten zu unterscheiden, der hat auch die Pflicht, das weiterzugeben – sagte eine Ausbilderin am Abreiteplatz zu mir, Sandra Adamczyk von der Kampagneschule. Wie recht sie doch hat! Genau da kann jeder von uns weitermachen. Sich selbst schulen ist der erste Schritt. Hinterfragen, durstig sein. Weitergeben ist der zweite.

25 Kommentare

  1. @Angelika, ganz herzlichen Dank, das freut mich wirklich sehr. Nicht einfach, das alles.

  2. Ich lese Deine Texte immer gerne aber diesen finde ich ganz besonders gut!!!
    Danke für die ausführliche Hintergrundrecherche und überhaupt!

  3. Ganz toll geschrieben und erläutert. Nach dem letzten Jahr habe ich mir in diesem nicht einen einzigen Ritt angesehen. Nicht wegen der Reiter, von denen es immer wieder gute gibt( Gott sei Dank), sondern um keine Veranstaltung mehr zu unterstützen, die unfaires Showgestrampel hoch bewertet. Solange sich dies nicht ändert, ist der Sport nicht mehr klassisch. Es gibt einige klassische Reiter, die versuchen auf einer nichtklassischen Veranstaltung zu punkten. Es müssteanders sein…..und dies ist Aufgabe der FN und der FEI.

  4. Gut und nachvollziehbar und ehrlich geschrieben. Gefällt mir gut. Hoffentlich bringt es manche zum Nachdenken.

  5. Sehr schöner Artikel. Eigentlich habe ich resigniert …. 🙁 Aber … ein bisschen Hoffnung keimt wieder auf 😉 !

  6. Ein guter Artikel. Toll geschrieben.
    Die Fotos und Videos haben immerhin erreicht, dass die Diskusion zum Thema „Schlechtes Reiten“ nicht verstummt und die Menschen sensibel bleiben. Schön wäre es, wenn auch Videos zu gutem Reiten eingestellt würden, den das gibt es in der Tat auch.

  7. Das beste Statement über dieses schwierige Thema welches ich je gelesen habe! Danke

  8. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr mich diese wertschätzenden Kommentare freuen. Das hier kostet so, so viel Zeit – wenn es ein bisschen etwas bringt, dann hat es sich gelohnt. Ich sehe zwar stets an den Zahlen, wie viele Leser hier sind – aber es ist etwas ganz anderes, von einigen vom Euch ein Feedback zu erhalten. Das tut sehr gut – Dankeschön! ☺️

  9. Dein Schreibstil ist einzigartig, deine Augen sehen und Deine Ohren hören alles. Der Artikel ist das Ergebnis davon. Toll.
    Mach weiter für den #betterhorsesport.

  10. Liebe Jeanette, sehr guter und wichtiger Text. Es ist einfach „drauf zu haun“ wenn man reichlich Abstand zum Subjekt hat. Leider bewirkt das aggressive herangehen eher, das auch die berechtigte Kritik an der Schutzmauer abprallt, die Sportler, Sponsoren und Funktionäre gemeinsam versuchen aufrecht zu erhalten. Es ist so schwierig es auf eine konstruktive Weise Menschen die man schätzt nahe zu bringen. Dein Beitrag trifft genau den richtigen Ton und könnte Leute zum Nachdenken bringen, die ansonsten gleich mit dem Argument des mangelnden Fachwissens abwiegeln würden. Bitte weiter so

  11. Ja, yes, oui, si…., meine volle Zustimmung! Danke und mögen viele Deiner Kollegen auch so reflektieren.

  12. Sehr gut geschrieben. Das beschreibt sehr genau meine Wahrnehmung.
    Danke dafür.

  13. Was ich auch schlimm finde, es zeichnet sich für die WM in den USA der gleiche Schmuh ab wie damals vor Olympia in London. Wie Phönix aus der Asche sind auf einmal Reiter aus den USA hoch platziert und bewertet, die in Rio noch keiner kannte. Damit deutet sich doch schon an, dass dort eine Geschenksendung für die US- Equipe in der Dressur lauern könnte. Wenn man sieht, das Isabell Werth von allen Richtern auf Platz eins gesetzt wird außer von der US Richterin nicht, dann hat das mit fairem richten nichts zu tun. Aber leider ist es keine Seltenheit. Wenn ich an die Russin mit ihrem Trakehner Mister X denke, sie reitet sehr gut und schafft es trotzdem nur sehr selten über 72 Prozentpunkte. Auch Dorothee Schneider und Christina Böhring-Sprehe haben einen sehr schönen Stil und werden dafür leider auch noch nicht entsprechend bewertet.

  14. Liebe Jeannette,
    ich fand Deinen Klimke – Artikel schon super. Aber dieser hier ist wirklich spitzenklasse. Klar, individueller Blog und Massenmedium mit zu berücksichtigen Nachrichtenwertfaktoren sind zwei paar Schuhe, aber die interessierten Reiter werden beide finden und lesen. Und für die interessierte Öffentlichkeit war und ist der Klimkeartikel mit den wichtigen vier Zeilen super. Ganz herzlichen Dank für Beides – ich bin gespannt wie es weitergeht.
    Liebe Grüße, Marion

  15. Sehr gut geschrieben…Ich bin Richter bis Dressur S ** und einer derjenigen ,die auf Rückentätigkeit,Losgelassenheit,Maultätigkeit ,Anlehnung und Harmonie grossen Wert legt.
    Ja, bei mir ist in der Rangierung auch mal der „normale“ Starter vor dem Profi.
    Ich richte das was ich im Moment sehe und nicht was da auf meiner Startliste steht.
    Auch hierfür muss ich mich oft rechtfertigen .Aber genau das ist meine Aufgabe–zu richten was ich sehe und was reell ist.
    Dafür rechtfertige ich mich auch weiterhin gerne…

  16. Schön, wie du den Blick immer wieder auf das Positive lenkst und Handlungsmöglichkeiten aufzeigst!

  17. Nachdem ich meine eigenen Eindrücke inzwischen online gestellt habe, musste ich mir in Ruhe noch mal deinen Beitrag durchlesen und die Facebookbilder ansehen. Es ist so traurig zu erfahren, dass es nicht besser wird im ‚großen Sport‘. Ich finde deine differenzierte Beschreibung, dass nicht reeles Reiten nicht sofort tierschutzrelevant ist, sehr gut, was aber mir zeigt, es muss einfach noch mehr im Sinne der Blickschulung getan werden.

  18. @Equus Domesticus: Ich habe auch Deinen Artikel gelesen und hatte gern kommentiert, aber irgendwie checke ich es nicht, mit welcher WordPress-Kennung ich mich da anmelden soll. Frag‘ doch einfach nächstes Mal Ortsansässige (hier!), wo man in Aachen gut übernachten kann . Viele Grüße von Jeannette

  19. “ …Es gibt nicht nur Ingrid Klimke, so wichtig sie für uns alle und den Reitsport an sich auch ist momentan. Es gibt noch mehr Leute, die gut arbeiten. Diese brauchen Wahrnehmung, Wertschätzung und Applaus.“

    ABSOLUT … und da muss einfach unterstützt werden – eine Ikone ist ja gut und schön, aber es gibt noch so viele die reell und im Sinne des Pferdes reiten … nur erwähnt die niemand 10x am Tag … leider…

    Ansonsten wirklich ein toller Bericht!!!!