Die Wut und ich

Negative Gefühle im Sattel auf die Zuschauerbank zu verdammen, ist ein Bild, das mir ganz gut hilft. Und wenn es wiederkommt? Dann einfach wieder an seinen Platz verweisen.

 

Wut im Sattel – darüber will niemand sprechen. Dabei ist dieses Gefühl der kleine Bruder vom Ehrgeiz und deshalb ist er leider öfter im Sattel zu Gast, als uns lieb ist. Wie Du die Wut beim Reiten in den Zuschauerbereich verdammst. 

Alle Fotos: Klara Freitag

 

Da sitzen sehr merkwürdige Zuschauer beim Kurs. Den einen habe ich da vorn auf einen Stuhl gesetzt: die Wut. Zwei weitere kommen von anderen Reitern: der Ehrgeiz und der Frust. Am Kragen gepackt haben wir sie und in den Zuschauerbereich verdammt. Weil sie einfach mitreiten wollten. Uneingeladen. Aber sie sind wie unerzogene Hunde: Kommen immer wieder zu uns und wollen erneut weggeschickt werden.

 

Wut im Sattel

Das ist natürlich nur ein Bild. Ich bin darauf gekommen, als ich nach einer Unterrichtseinheit mit dem Hund spazieren ging, und nachdachte, was ich gegen die Wut tun könnte. Denn die Unterrichtseinheit zuvor ging emotional schief. Weil ich ungeduldig wurde, sauer auf mich und meinen Körper, weil ich doch alles schon im Kopf glasklar hatte, aber nicht so schnell umsetzen konnte. Ich wurde wütend.

 

In mir, wohlgemerkt. Denn ich lasse keine Wut am Pferd aus.

Ich werde nicht unfair.

Das zu erklären ist mir wichtig, denn ich höre schon die Stimmen, die sagen: „Oh weh, das arme Pferd, wenn Du wütend wirst, dann ganz schnell runter vom Pferd!“

 

Wer nörgelt, wird wütend

Wann die Wut kommt, ist bei jedem Reiter anders.

Wütend werde ich so gut wie nie, wenn ich alleine reite. Ich werde wütend, wenn ich zum Beispiel im Unterricht zu viel Input bekomme, nicht mit dem Umsetzen nachkomme und dadurch so ein mit-mir-selbst-Unzufriedenheits-Teufelskreis entsteht.

Ein Platz, der voller Emotionen steckt. Das Bild wurde kurz vor einem Sattlertermin gemacht – Ailena ist breiter geworden, der Sattel wurde geweitet und liegt jetzt wieder im Schwerpunkt.

 

 

Mentaltraining für den Reiter

Wenn ich sie gedanklich nicht los werde, habe ich inzwischen gelernt, sie nicht einfach zu ignorieren. Ich sage das im Unterricht dem Ausbilder. Zum Beispiel so: „Stopp, das ist gerade zu viel Input für mich. Brauche gerade mehr Zeit zum Nachfühlen, zum Umsetzen.“ Denn ich weiß: Wenn ich das nicht ausspreche und in so einer Situation immer mehr Input bekomme, geht’s komplett schief, weil die Wut wächst. Das findet nicht jeder Ausbilder toll, das zu hören. Ist ja auch nicht gerade old school.

 

Alte Schule wäre, einfach nur gnädig zuhören und zu machen. Notfalls still heulend auf dem Pferd sitzen, aber weiter machen, und bloß nicht widersprechen. Für mich ist Stopp sagen ein Weg, aus dem Gefühl rauszufinden. Das ist mir mehr wert, als ein unkomplizierter Schüler zu sein.

 

Emotionslos Reiten

Übrigens sind wir damit bei einem meiner Lieblingsthemen angekommen: Unemotional Reiten. Ohne negative Gefühle reiten, ohne Selbstbewertung des eigenen Reitens währenddessen. („Nach dem Frust ist knapp vor dem Lernerfolg“ – habe ich hier geschrieben, und das ist die gute Nachricht an dem ganzen Thema!).

 

Was Du tun kannst, um die Wut im Sattel los zu werden

Langfristig hilft die Einsicht, dass jedes Gefühl nur ein Gast ist. Dass die nicht zu uns gehören, sondern kommen und gehen, und dass man lernen kann, sie früher wegzuschicken. Bevor sie so groß sind, dass sie das Reiten so sehr beeinflussen. Muss man allerdings üben. Wird aber besser, sukzessive, durchs Üben. Meine Freundin Philippa hat sich das zum Beispiel antrainiert (wie, steht hier). Ich kenne niemanden, der sich beim Reiten so sehr freut wie sie.

 

GELASSEN BLEIBEN BEIM REITen

 

Doch was tun, wenn das im Unterricht passiert? Oder noch ätzender, beim Reitkurs, bei dem auch noch viele zuschauen? Das Bild, die Wut zu packen und aus dem Sattel hinaus in den Zuschauerbereich zu verdammen, finde ich super. Denn man drängelt das Gefühl nicht weg, sondern nimmt es wahr, aber gibt ihm einen Platz außerhalb der Zone, in der es stört.

 

Auf der Stallgasse später sprachen wir noch darüber. Eine Reiterin meinte, so etwas würde vor allem ehrgeizigen Menschen passieren.

Auch wenn man die Wut nicht am Pferd auslässt – das Pferd merkt natürlich genau, dass etwas nicht stimmt.

Ehrgeiz und Wut sind dicke Kumpels

Klingt direkt annehmbarer, zu ehrgeizig zu sein, oder? „Ich bin ein ehrgeiziger Reiter“ klingt besser, als wenn man sich eingestehen muss: „Ich werde wütend im Sattel.“ Es ist ja auch in keiner einzigen Reitweise schick, zuzugeben, man würde wütend. Angst zu haben – dafür gibt es schon viele Bücher, viele Ratgeber, das ist ein häufiges Thema. Selbstkontrolle und Kadavergehorsam gehören konventionell absolut zum guten Ton dazu. In vielen alternativen Lehren steht hingegen die Harmonie so sehr im Fokus. Klar, danach gieren wir ja alle. Da passt so ein Thema wie Wut auch gar nicht rein.

 

Ehrgeiz iM Sattel

Sagt man Wut, dann wird vielleicht als erstes irgendetwas Tierquälerisches assoziiert. Dabei ist das doch Blödsinn. Ein Gefühl ist nicht einfach vom Erdboden verschwunden, nur weil wir es nicht aussprechen.

 

Die Wut und ich – das gibt es manchmal. Bei Euch auch?

 

P.S.: Wie aktuell das Thema Wut unter jungen Reiterinnen ist, wird in diesem Interview mit dem niederländischen Springtrainer Albert Voorn deutlich. Wie ich während eines anderen Kurses mal kurz davor war, das Reiten komplett an den Nagel zu hängen (na, kennt das jemand???) und dann eine Sternstunde erlebte, weil ich doch durchhielt, habe ich HIER aufgeschrieben.

Weiterlesen extern: Im Blog „Penny das Pony“ findet Ihr einen Artikel zum Thema Wut, der den Gedanken „Wut bedeutet einfach: Achtung!“ sehr schön erklärt.

2 Kommentare

  1. Hi Jeanette,
    ich glaube ja, wer behauptet, er würde nie sauer im Sattel, schwindelt einfach. 😉
    Ich gebe zu – mir passierts auch schon mal. Allerdings nicht im Unterricht. Da finde ichs nicht schlimm, wenn mal was nicht so klappt. Deswegen hab ich schließlich Unterricht.
    Mein Schwachpunkt sind so Zickereien wie : Pony scheut plötzlich vor Ziegen, an denen es jeden zweiten Ausritt vorbei kommt.
    Da muss ich mich dann schwer zusammen reissen, um ihm nicht einen „Tritt in den Hintern“ zu verpassen.
    Bewusst tief durchatmen, bevor ich tatsächlich handle (und nachdem ich den ungeplanten Roll back im Sattel überlebt habe ;-D) hilft dann, da es nicht nur mich sondern meist auch das Pony entspannt.
    Liebe Grüße

  2. Hi Astrid, danke für Deine Nachricht! Atmen, bewusst atmen, hilft ja eigentlich bei allem. Ich glaube, es ist eben wichtig, diesen Punkt nicht zu verpassen, an dem man sich selbst noch wunderbar runterholen kann. Egal, ob jetzt im Unterricht oder bei den Ziegen! Liebe Grüße! (Denkst Du jetzt immer an den Artikel, wenn Du an den Ziegen vorbeikommst? ☺️) Jeannette