Wir Reiter wollen das Beste fürs Pferd – doch unterbewusst gibt es Erwartungen, die im Weg stehen können. Eine Analyse, bei der ich nicht so gut wegkomme.
Seit einigen Monaten arbeite ich mit den zwei neuen Stuten. Einer Warmblutstute, Ailena, einer Reitponystute, Chamonix. Die eine von einer Freundin, die andere meine eigene. Vor einigen Wochen fiel mir auf, dass meine Beziehung zu beiden sehr unterschiedlich ist. Also habe ich mal analysiert – und musste mich danach selbst ganz schön korrigieren.
Also, Fall 1, Warmblutstute, Springpferd, wenig dressurausgebildet, sehr unausbalanciert, sehr schief, sehr lang, wenig Muskeln. Hatte zuvor keine stetige Bezugsperson. Vom Geiste her anfangs der Typ Befehlsempfänger ohne eigenen Ideen. Immer sehr bemüht, alles recht zu machen.
So ging ich damit um:
Ich machte klitzekleine Schritte.
Ich lobte sehr häufig.
Ich setzte alle Aufgaben wie ein Baukastensystem extrem kleinschrittig zusammen, und hielt alles immer leicht und einfach.
Ich nahm mir Zeit, zu erkunden, was sie mochte.
Ich hatte immer im Hinterkopf: Sie kennt das alles anders. Mal sehen, was das werden kann.
Ohne irgendeine Erwartung.
Sie wurde immer eifriger, macht den Eindruck, stolz auf sich zu sein, sie ist weitaus ausbalancierter als zuvor und denkt inzwischen mit. Sie mag mich.
Fall 2, Reitponystute aus guten Händen, Jungpferdeprüfungen gegangen, dann Fohlenpause. Keine körperlichen Schwierigkeiten, viel Bewegung, locker, wenig schief, fröhlich, zugewandt. Ein wirklich gutes Dressurpony.
Das machte ich mit ihr:
Ich legte vor allem Wert darauf, sie wieder aufzutrainieren.
Nach zwei Jahren Pause hatte ich vor allem den Körper im Blick: Rücken- und Bauchmuskulatur wieder formen, deutlich abspecken lassen.
Ich wusste, die hatte es immer gut gehabt, und dieses Pony hat sehr viel Potential.
Ich erwartete mehr. Natürlich war ich fair zu ihr, wie zu allen Pferden: Ich lobte, ich wog ab, ich machte nicht zu viel auf einmal.
Im Hinterkopf jedoch war: Hoffentlich werde ich diesem Potential gerecht. Und: Ich möchte daraus ein Kinderpony machen, und zwar nicht erst in drei Jahren.
Meine Erwartung war: Durchaus da. Und nicht gerade gering.
Qualität verführt uns Menschen
Nach einigen Monaten nun gucke ich meine zwei Damen an. Und sehe, dass meine Erwartung, die ich natürlich eigentlich ja gar nicht haben will oder auf jeden Fall nicht so unterschiedlich haben will, einiges beeinflusst hat. Ich stelle fest, dass mein Pony lieber mit anderen schmust, als mit mir. Kein schönes Gefühl. Und ich stellte fest, dass die große Stute mitkommen möchte, wenn ich das Pony für die Arbeit reinhole, und zuguckt manchmal, wenn ich etwas mit dem Pony mache. Die große Stute ist weitaus schlauer, als ich das anfangs dachte, beginnt immer mehr mitzudenken und Dinge von sich aus anzubieten. Auch das Pony hat sich positiv verändert, geht schöner als anfangs. Aber die Beziehung zur großen Stute ist eine engere als zum Pony. Das machte mich sehr nachdenklich. Und auch traurig.
Ich glaube, dass das ein Muster ist, was nicht nur ich habe. Viel Potential, gutes Pferdematerial verführt uns Menschen schnell, mehr zu erwarten. Es ist eine Verführung, die null Komma null gut für das Pferd oder für uns ist.
Zielorientiert oder Beziehungsorientiert?
Ich habe die Ponystute nie zu hart angepackt – aber ich habe das Vorankommen über die Beziehung gestellt. Ich war in erster Linie zielorientiert. Dabei wäre mir fast das Wichtigste abhanden gekommen, worum man ja ein eigenes Pferd hat: Vertrautheit, irgendwann.
Bei der großen Stute, die weder körperlich noch von ihrer Vergangenheit her vermuten lässt, dass mit ihr großes dressurtechnisch möglich ist, waren meine Erwartungen ganz klein. Genau das hat alles so leicht gemacht, so viel Freude geschenkt, weil jeder kleine Schritt eine Welt war. Diese Freude hat sie bemerkt und ist immer besser geworden.
Das Ganze habe ich vor einigen Wochen festgestellt und mir vorgenommen, dass mein Pony das nicht verdient hat. Es ist unfair, nur weil sie gut ist, nicht auch jede Kleinigkeit zu feiern.
Es ist okay, nicht herausragend zu sein
Schließlich gilt es ja nichts zu beweisen – wir haben alle Zeit der Welt, und wenn sie erst in einem Jahr oder so wirklich wieder optimal da steht, muskulär, dann ist das eben so. Und auch, wenn andere Leute dieses Pferd weitaus besser vorstellen oder reiten oder ausbilden könnten als ich – es ist meine, und darum geht es. Es ist okay, nicht herausragend zu sein. Es ist aber nicht okay, nicht das Beste zu wollen. Das beinhaltet übrigends, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und sich auch selbst immer weiter schulen zu lassen. Hungrig nach Wissen zu sein und zu bleiben!
Von da an habe ich mir mehr Zeit für sie genommen.
Mehr Zeit auf dem Paddock mit ihr, mehr Zeit zum Putzen, habe sie auch ohne Arbeit mal besucht und einfach versucht, meine Erwartungen komplett runter zu schrauben. Nicht einfach, weil so etwas ja nur zum Teil im Bewusstsein abläuft.
Sie zu prüfen, die unterbewussten Erwartungen sind der erste Schritt, um wirklich offen zu sein, glaube ich. Auch wenn sich das nicht schön anfühlt.
Mir ist dazu noch ein Gespräch von vor vielen Jahren eingefallen. Eine Ausbilderin erzählte mir, dass sie die Einheiten stets sehr kurz hält, seit sie mal mit einem Kaltblüter gearbeitet habe. Sie hielt dieses Pferd anfangs für wenig intelligent und mit wenig körperlichen Möglichkeiten ausgestattet. Deshalb hielt sie alle Einheiten kurz und zerlegte Neues in allerkleinste Minischritte. Um schnell zum Loben zu kommen, um einfach Erfolgserlebnisse zu produzieren. Diese Kaltblutstute wurde schließlich ihre Musterschülerin. Sie lernte schnell und weitaus mehr, als die Ausbilderin je zu hoffen gewagt hatte.
So kleinschrittig wie möglich, und ohne Erwartungen. Mein neuer Vorsatz.
Hallo Jeannette, wieder ein toller Blog Eintrag von dir! Ich finde es beeindruckend, dass du bereits bist dich auch in der Öffentlichkeit so zu hinterfragen.
Deine Gefühle kann ich gerade sehr gut nachvollziehen, mein Spanier findet aktuell meine Freundin auch besser als mich. Wenn sie in die Longierhalle kommt, bleibe ich links liegen und er rennt zu ihr. Krault sie ihn, genießt er es in vollen Zügen. Ich gönne es ihm natürlich, bin aber selbstverständlich auch etwas neidisch.
Das spannende an uns ist, wir haben beide keine Erwartungshaltung an ihn. So wie du es schreibst, er kommt aus keinen so guten Verhältnissen, hat nicht den „idealen Körperbau“ und ist ja eh „nur Freizeitpferd“. Was meine Freundin und mich allerdings unterscheidet: Sie stellt ihm „schwierigere“ Aufgaben und bleibt länger dran. Z.B. Stangen findet er ganz gruselig! Wir haben also eine kleine Gasse aufgebaut wo er zwischen zwei Stangen durch muss. Nachdem das gut lief (natürlich mit viel Pausen und Lob), haben wir die Gasse etwas enger gemacht und das ganze dann nochmal. Ich hätte es danach sein lassen. Meine Freundin hat aber nochmal etwas gesteigert und wirklich eng gemacht. Das war dann erst einmal stressig, er musste sich zwei mal aufregen, und plötzlich ging es als hätte er nie etwas anderes gemacht. Lob war danach wieder groß und das war’s dann für den Tag. Ich glaube was sie besser raus hat als ich, ist das Gefühl wirklich zu verstehen wie weit man ihn bitten darf damit er Selbstvertrauen gewinnt, und das findet er natürlich toll! Vielleicht ist es mit Ailena auch so? Sie hatte kein Selbstvertrauen und du hast es ihr gegeben!
Hallo Michele, danke für Deinen Kommentar und dass Du von Deinem Pferd erzählst! Ich finde, dass auch Pferde sich ihre Leute aussuchen dürfen – vor Jahren hatte ich z.B. mal eine Reitbeteiligung für Fee, mit der sie eine echt besondere Bindung hatte. Das war toll! Aber es hat auch ein bisschen gebraucht, bis ich das nur schön fand. Schwierig finde ich es nicht, darüber zu sprechen – denn ich habe das für mich klar. Ich habe das analysiert und entschieden und weiss, was ich jetzt anders mache. Schwierig sind Sachen, die im Prozess sind, und die würde ich nie öffentlich besprechen. Öffentlichkeit braucht Klarheit – denn jeder Mensch ist auch nur Mensch, und im Prozess ist man zu offen, zu verletzlich für das Woldwideweb. Da braucht es Einkehr und eventuell den Rat von ausgesuchten Menschen aus dem echten Leben ;o) Liebe Grüße ! Jeannette
Super Jeannette, sehr wichtige und gute Erkenntnis! Ich geh eigentlich immer mit der Einstellung „Mal schauen, was heute klappt“ zum Pferd, was nicht heißt, dass ich mir nicht auch bestimmte Übungen vornehme, aber ich bleibt halt sehr flexibel. Letzte Woche hatte ich mir z.B. eine ganz bestimmte Übung vorgenommen, auch genau geplant wie ich die aufbaue, tja mein sonst so motiviertes Pony hat ganze 2min mitgemacht und mich dann am langen Arm verhungern lassen (und ohje, auch noch mit Zuschauern^^). Also gabs stattdessen eine 1,5h Kraul- und Putzsession, die sehr lustig war. 2 Tage später habe ich die gleiche Übung aufgebaut und siehe da, Pony hat ganz fein mitgemacht, mit dem Ergebnis am nächsten Tag ein total lockeres Pferd zu haben, das ganz wunderbar galoppieren konnte.
Hi Svenja, auch ein sehr wichtiger Punkt! Ich glaube diese Art von Flexibilität hab ich auch ganz gut abgesichert – das ist eine der Sachen, die so gut gelernt sind ,dass sie automatisiert sind, also bei mir. Muss ich nicht drüber nachdenken, ich passe immer das Thema dem Tag an. Aaaber: Ich meinte eher den Subtext, der bei uns mitläuft, diese versteckte Erwartung, die dann aber doch Auswirkungen hat. Da möchte ich mich noch sehr sehr sehr verbessern! Da ich Dich ja auch im echten Leben kenne, glaube ich, dass Du fast eine Meisterin darin bist, Dich genau davon frei zu machen. Von Deiner Geduld brauch‘ ich ne Scheibe!
Hi Jeanette,
ich glaube nicht, dass Pferde mit viel Potential es grundsätzlich schwerer haben. Insofern ist deine Überschrift irreführend. 😉
Das Kernproblem ist ja die menschliche Erwartungshaltung. In dem Fall deine Zuschreibung hinsichtlich des Potentials.
Ich hab geradezu die gegenteilige Erfahrung gemacht.
Ich bin vor 3 Jahren losgezogen, um mir ein bequemes Gangpferd fürs Gelände /Wanderreiten zu kaufen und wollte das Dressurreiten an den Nagel hängen.
Nach Hause gekommen bin ich dann mit einem Mangalarga- Marchador-Stutchen, das meinen Dressurtrainer komplett begeistert, weil sie so viel Potential hat – dressurmäßig versteht sich. Obwohl schön tölten tut sie inzwischen auch und Trabtraversalen laufen und einiges mehr… 😉
Es ist vielleicht einer der Vorteile des Älterwerdens, dass man seine eigne Erwartungshaltung runterschraubt.
Das Erwartungshaltungssyndrom hat ne Menge mit meinem Ehrgeiz zu tun. Der war in jüngeren Jahren sehr viel größer. Mein mittlerweile in Rente befindlicher (28jähriger) Oldie hat – fürchte ich – unter meiner Erwartungshaltung deutlich mehr leiden müssen, als die jungen Pferde jetzt.
Und wenn ich ehrlich bin, ich selbst wahrscheinlich auch. Früher war ich viel öfter frustriert, wenn etwas nicht so geklappt hat, wie ich mir das vorgestellt habe beim reiten. Heute sitze ich viel öfter (eigentlich praktisch bei jedem Ritt) breit grinsend auf dem Pferd und freue mich, wie schön sie läuft.
Hallo Astrid, nun, die Überschrift „Warum Pferde mit viel Potential es durch die menschliche Erwartungshaltung oft schwerer haben“ war mir dann doch zu lang ;o)!
Du hast schon recht – es findet alles in unserem Kopf statt. Und auch wenn man die beste Intention hat, und alles schön langsam machen will und so – ist es halt nicht immer so eins zu eins im echten Leben so, wie wir uns das vornehmen. Und sicherlich hat das etwas mit Ehrgeiz zu tun. Auch, wenn man den gar nicht will, kommt der schon mal zur Tür hineinspaziert! Viel Freude mit Deiner Stute! Selten, dass jemand einen Mangalarga hat!