Warum es keine gute Idee ist, wie Alizée reiten zu wollen

Alizée Froment im Sommer 2016 auf dem CHIO Aachen. Mit ihrem Hengst Mistral nach ihrer Paradenummer, bei der sie Grand-Prix-Lektionen auf Halsring zeigt. Foto: Klara Freitag

Alizée Froment im Sommer 2016 auf dem CHIO Aachen. Mit ihrem Hengst Mistral nach ihrer Paradenummer, bei der sie Grand-Prix-Lektionen auf Halsring zeigt. Foto: Klara Freitag

Wieviel Freiheit darf sein?

Alle Welt reitet plötzlich auf Halsring und montiert so viel wie möglich vom Pferdekopf ab. Alles gut und schön? Die Wahrheit ist wenig romantisch und das Wort Schmerz kommt bewusst darin vor. Warum ich manchmal Reiter in meinem Umfeld am liebsten schütteln würde, und was das mit Alizée, Kenzie und unschönen Platzwunden zu tun hat.

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„Mama“, sagte das Kind, „wann kann ich reiten wie Alizée? Ohne Trense, ohne Halfter?“

„Wir waren draußen!“ sagte meine Reitbeteiligung, und schickte mir ein Bild. Das Pferd auf Halfter, sie stolz.

 

Ich möchte dann viele Sachen auf einmal tun. Menschen schütteln, meinen Kopf schütteln, nein rufen, sagen, das könnt ihr alles machen, wenn ihr erwachsen seid und auf eurem eigenen Pferd sitzt und völlig dafür alleine verantwortlich seid, was ihr für einen Mist anstellt.

Denn in meinem Kopf laufen dann Filme ab, die durchgehende Pferde, die sich vor irgendeinem Sonstwas, mit dem niemand gerechnet hat, fürchten. Reiter die runterfallen und Autos, die bremsen.

 

Letztens war es leider nicht nur Kopfkino. Eine gute Bekannte von mir kam wegen einer Platzwunde am Kopf ins Krankenhaus, weil ein Pferd sie umgerannt hatte. Das sie mit Halfter im Gelände führte. Ein Pferd, das als geländesicher gilt und gut erzogen ist, und bei dem niemand gedacht hätte, dass es sich mal so erschrecken könnte, dass so etwas passiert. Ihr Kopf war bis auf den Knochen auf. Zum Glück nur eine Fleischwunde.

 

Wäre das passiert, wenn sie auf Trense oder mit einem schärferem gebisslosen Zaum, als einem Stallhalfter, unterwegs gewesen wäre? Ich behaupte: es wäre zumindest unwahrscheinlicher gewesen.

Wenn ich mit den Pferden rausgehe, tragen sie Trensen – oder Knotenhalfter, oder einen Kappzaum (zugegeben, ich nehme meistens Trensen, aber das ist reiner Automatismus, ich finde diese drei Möglichkeiten alle gut). Und zwar, obwohl sowohl Fee als auch Onkel schrecksicher, geländesicher und verkehrssicher sind. Foto: Klara Freitag

 

Panik gegen Schmerz

Der Grund ist einfach: Panik gegen Schmerz.

Wenn ich einen Schmerzreiz setzen kann, habe ich eine Chance, in Momenten der Panik wahrgenommen zu werden.

Es ist die Frage, welcher Reiz in so einem Moment stärker gewesen wäre.

Unpopulär, so etwas zu sagen, ja. Denn wir aufgeklärten Pferdemenschen wollen ja alle eine Partnerschaft mit dem Pferd, feines Reiten, unsichtbare Kommunikation. Das Wort Schmerz ist da als Notanker nicht akzeptabel. Doch wenn ich damit das Risiko für aufgeplatzte Menschenköpfe und Verkehrsunfälle verringern kann, dann möchte ich genau das am Pferdekopf haben: ein Instrument, das im Notfall hilft.

Auch, wenn es mir ansonsten um feine Kommunikation geht. Und ich höre das Gegenargument schon jetzt: gegen 600 Kilo, die in Panik fortwollen, macht auch ein Gebiss nichts mehr. Das mag in vielen Fällen sogar stimmen. Doch es bleibt eben die Frage, welcher Reiz in so einem Panikmoment stärker ist: der Fluchtmechanismus oder der Schmerz. Es ist eine Chance da, und diese Chance gibt uns Menschen die Möglichkeit, heile Knochen zu behalten.

Manchmal habe ich das Gefühl, zu dem Wahn, alles vom Pferdekopf zu reißen, beigetragen zu haben. Weil ich sehr frühsehr gerne und sehr viel von dem Zauber berichtet habe, der entsteht, sobald Alizée Froment ihre Pferde nur auf Halsring reitet.

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Ein Bild aus meinem ersten Dressurkurs mit Alizée Froment, Februar 2015. Im Sattel sitzt Marita Schreiber, die sie als erste überhaupt nach Deutschland zu einem Kurs einlud. Foto: Jeannette Aretz

 

Es ist ja nicht nur sie, sondern es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die tolle Freiarbeit zeigen, die toll arbeiten ohne Sachen um den Pferdekopf. Tja, und nun möchten eben alle nacheifern.

 

Wir wollen alle eine kleine Alizée sein

Mindestens soll das Gebiss raus, am besten das ganze Zaumzeug ab. Weil wir ja freundlich zum Pferd sein wollen. Weil wir mit Bodenarbeit und Roundpen und Freiarbeit und haste-nich-gesehen ja so lange in die Beziehung investiert haben, dass wir ganz eng mit unserem Pferd sind. Weil wir unser Pferd kennen, und wissen, dass da nichts passiert.

Foto: Thomas Rubel

Alizée Froment bei uns daheim – sie gab im Frühjahr einen Dressurkurs und ritt ihre beiden Lusitanos sowohl mit, als auch ohne Kopfstück. Foto: Thomas Rubel

 

Weil wir alle eine kleine Kenzie oder eine kleine Alizée sein wollen.

 

Ich kann diese Sehnsucht so sehr verstehen.

 

Als wir den Lehrfilm zu Alizée gedreht haben, und sie zwei Meter vor mir Mistral ohne Zaum ritt, ihn voranschickte und nur mit dem Sitz wieder einfing, schönste Traversalen und Galopppirouten ritt, da passierte mir etwas, das sehr selten ist: ich konnte keine Zeile mehr schreiben. Ich hatte Tränen in den Augen, weil es so schön war. Klar, ich kannte das von Videos und von Shows. Aber so nah dran, es haute mich um.

 

Doch vor der Leichtigkeit steht das Können. Das Üben, das zigmal tun und sich sicher sein.

 

Es waren tausende Stunden im Sattel bei einer Alizée Froment, tausende Stunden an Grundlagenarbeit in der Dressur, stinknormal mit Gebiss und gymnastizierender Arbeit, bevor sie alles abmontierte. Dazu etliche Stunden in der Freiarbeit und absolute Konsequenz in jedem Detail. Da gibt es auch heute kein ‚Ach ja, er steht nicht ganz geschlossen, aber für heut ist’s gut“. Da wird gefeilt und analysiert. Erst wenn alles, alles stimmig ist, wird abgerüstet.

 

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Bei uns im Kurs mit Mistral, hier auf Halsring im Training. Foto: Thomas Rubel

 

Die gute alte Tante FN

Während ich diesen Text tippe, komme ich mir vor wie die gute alte Tante FN. Deren Hauptpredigt die Sicherheit ist. Gibt es ein anderes Land, in dem so viel über Stahlkappenschuhe, Handschuhe beim Führen des Pferdes und sichere Ausrüstung geredet wird?

 

Ich bin nicht spaßbefreit. Das Kind darf auch nur auf Halsring galoppieren. In einem Roundpen, geschlossener Raum, kann wenig passieren, und auf einem braven Pony, dass diesen Job kennt. Die Reitbeteiligung darf auch mal ohne Gebiss reiten – aber bitte auf dem Platz oder in der Halle.

 

Alle anderen Heldentaten in dieser Richtung würde ich zumindest meinem minderjährigem Umfeld gerne abgewöhnen. Auch wenn ich selbst nicht besser war. Und damals alleine, mit Pony auf Halfter und ohne Sattel in den Wald geritten bin. Doch: Es war einfach ein Scheißgefühl, als dieser Motorradfahrer, der nicht in den Wald gehörte, da plötzlich auftauchte, und nicht nur das Motorrad, sondern auch das Pony abknatterte.

 

Ist ja nichts passiert. Stimmt oft. Und doch: Was für ein dummer Satz. Weil er eine scheinbare Sicherheit vermittelt. Genauso, wie ich mir wünsche, dass alle Reiter wissen, was sie da Kostbares in den Händen haben, wenn sie die Zügel anfassen, wünsche ich mir, dass sie Vertrauen nicht mit dumpfem Leichtsinn verwechseln.

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Reiten ist ab einem gewissen Moment Kunst. Der Weg zur Kunst ist jedoch Akribie. Diesen wunderbaren Moment hat Klara Freitag eingefangen.

 

P.S.: Das hier ist kein Plädoyer contra gebissloses Reiten! Es gibt gute Alternativen zur Trense, die auch viel Sicherheit bieten. Der Kappzaum oder das Knotenhalfter beispielsweise, die eine komplett andere Wirkung haben, als ein stinknormales Stallhalfter.

2 Kommentare

  1. Fängt es nicht schon bei der Reitkappe an?
    Ohne an der scheinbaren Leichtigkeit (die hartes Training und absolute Selbstbeherrschung voraussetzt) und an dem reiterlichen Können von Alizée zweifeln zu wollen:
    …wäre es nicht das Mindeste wenn man schon ohne Zäumung unterwegs ist, spätestens dann eine Reitkappe auf zu setzen (vor allem wenn man so in der Öffentlichkeit unterwegs ist und einem tausende Minderjähre zuschauen)

    Auch ich bin früher (als Kind u. Jugendliche) nur mit Halfter und Strick, alleine (damals auch noch ohne Handy) und ohne Reitkappe im Gelände unterwegs gewesen.
    Mit einem geländesicheren Pony.- Ein Pony das ich 2 jährig bekommen habe und heute mit 25 Jahren immer noch bei mir ist. – Das ich liebevoll meine Lebensversicherung nenne.
    …bis zu dem einen Tag – an dem wir aus dem Takt gekommen sind, nur weil im hohen Gras ein Kaninchenloch war, dass wir nicht gesehen hatten – ich weiß nicht mehr viel von dem was danach passiert ist, aber den Knall…diesen einen Knall wie mein Kopf auf den Asphalt aufgeschlagen ist (so dumpf) den kann ich heute noch hören…
    Ich weiß nicht wie ich wieder aufs Pony gekommen bin, aber Fakt war, „meine Lebensversicherung“ hat mich trotz Erinnerungslücke bis nach Hause, vor die Haustüre gebracht (alles ab diesem Zeitpunkt weis ich aus Erzählungen, aber was zwischen Sturz und der Haustüre passiert ist -ca. 5 km- keine Ahnung). Es folgte ein Krankenhausaufenthalt und 24 Std. bangen, wegen Hirnblutungen.

    Seit diesem Tag bin ich nie wieder ohne eine Reitkappe aufgestiegen. Heute bin ich selber Mutter und wenn mein Kind ohne eine Kappe (egal ob mit Trense, Halsring, Halfter oder was auch immer) auf dem Pferd sitzen würde, ich würde ausrasten (Ich verstehe nicht, warum meine Eltern und auch ich damals so Sorglos waren).

    Sollte also eine solche Diskussion nicht einen ganz anderen Ansatz haben, als die Frage: “ Mit oder ohne Trense – ist es gefährlicher ohne?“

  2. Hallo Jenny, danke für Deinen ausführlichen Kommentar! Genau so eine Situation kenne ich auch aus meinem Bekanntenkreis – Schrittausritt ohne Kappe, Pferd stolpert,zack, Hubschrauber muss kommen. Klar, die Kappendiskussion ist ja immer wieder aktuell. Und ich denke, dass jeder Erwachsene da für sich selbst eine Entscheidung treffen muss. Für mich persönlich sind Shows auch ohne Kappe okay. Und ich bin ein immer-nur-mit-Kappe-Reiter. Ohne fühle ich mich sogar irgendwie nackt auf dem Pferd. Allerdings finde ich die 2.Sicherheitsstufe, Sturzwesten, oft völlig hinderlich! Die sind gut für Springreiter im Gelände, aber für mehr meiner Ansicht nach nicht. Meine Frage bezog sich übrigens nicht nur auf Trense – sondern einfach um sicherere Mittel am Kopf als nur ein Stallhalfter ;o). Viele Grüße von Jeannette