Hier ein Seminar, da ein neues Fachbuch, hier noch eine andere Idee zur Ausbildung: Alles gut und schön und wichtig. Doch es gibt eine Grenze. Ausbilder-Hopping kann nämlich Pferd und Mensch ganz schön verwirren. Ja, sogar die Ausbildung gefährden. Eine Bestandsaufnahme.
Letztens erzählte ich Euch, warum Reiten lebenslang Lernen ist. Und huldigte zwei Menschen, die gern über den Zaun schauen. Was ich verschwieg: Das ABER dabei. Denn es gibt eins, leider.
Das Problem: Neue Reitweisen zu testen oder sogar bloss einfach mal anzuschauen, mündet häufig in völliger Verwirrung.
Denn: In andere Schubladen zu schauen, das bereichert erst, wenn man ein Fundament hat. (Das ist die Essenz und der wichtigste Satz in diesem Text – für alle, die heute espressomäßig unterwegs sind.)
Mit dieser Meinung bin ich nicht allein. Letztens erst erzählte mir eine befreundete Ausbilderin, wie verwirrt ihre Kunden manchmal von anderen Seminaren kommen. Sie fährt als mobile Reitlehrerin von Kunde zu Kunde. Häufig wird sie mit neuen Seminarerfahrungen oder neuem Bücherwissen ihrer Kunden konfrontiert.
Aufgeschnappte Weisheiten
Das ist nicht immer hilfreich – oft fehlt nämlich sogar das Bewusstsein dafür, dass man soeben von einer Reitweise (daheim) zu einer anderen (neues Seminar) gewechselt hat. Neu aufgeschnappte Weisheiten können die ganze bisherige Ausbildung gedanklich aushebeln. Dann nämlich, wenn der Schüler im Kopf ein dickes, fettes „Aber!“ mitbringt. Lernen funktioniert jedoch nur, wenn der Schüler auch gedanklich beim Lehrer mitgeht, statt sich geistig auszuklinken.
Ich kenne diese Ausbilderin, und kann mir gut vorstellen, dass sie die meisten Schüler auch in solchen Phasen der neuen Ideen gut unterstützen und wieder abholen kann. Nur: meist bringt der Blick über den Tellerrand in einem frischen Ausbildungsstadium einfach gar nichts. Er stiftet Verwirrung und wirft das Team zurück.
Weil es doch etwas mehr braucht, als mal irgendwo hereinzunasen, wenn man eine andere Philosophie verstehen will.
Reiten anfangen? Nie wieder!
Das Erste, was man braucht, damit das Ideen holen woanders auch funktioniert, ist eine gefestigte eigene Position. Und bis man die hat, das dauert.
„Heute würde ich nicht mehr mit Reiten anfangen wollen“, sagte eine andere Bekannte letztens. Sie hat viele Jahrzehnte lang Pferdeerfahrung. Sie weiß, was sie tut. Doch sie würde heute nicht mehr noch mal neu anfangen wollen, weil es an jeder Ecke der Pferdewelt andere Theorien und Angebote gibt.
Es ist eben schwierig, all diese für sich einzuordnen (Bye the way: Das ist übrigens mein Beruf. Die Nase in alle möglichen Facetten reinzustecken, zu verstehen, zu hinterfragen, und weiterzugeben. Und ich bin mir sicher, dass ich darin heute besser bin als vor 15 Jahren, als ich damit begann. Und ich bin mir sicher, dass ich das vor 15 Jahren nicht hätte glauben wollen. Wer außerhalb des Blogs etwas lesen will: In der aktuellen Feine Hilfen stelle ich den Ausbilder Philip Lehnerer und seine Ausbildungsphilosophie vor. Das ist der Typ, der auf dem Adventskalender auf Facebook im Schnee galoppierend zu sehen war, und der so einige von Euch allein mit zwei Bildern zum Schwärmen brachte.)
Die gefestigte eigene Postition
Dieselbe Bekannte erzählte mir, dass eine Freundin zu ihr gesagt habe: „Ich vermisse Dich so im Stall! Als Du noch da warst, da wusste ich, wen ich fragen konnte, und auf wessen Meinung ich mich verlassen konnte.“ So war die erfahrene Pferdefrau der Filter für die Jüngere.
Genau das fehlt oft: Ein eigenes Koordinatensystem. Oder eben eine Vertrauensperson, auf dessen Urteil man zählen kann.
Es ist das gewachsene Wissen, das oft nicht da ist.
Nie war es so einfach wie heute, in andere Sparten der Reiterei zu blicken. Oder sich verschiedene Informationen über Fütterung und Haltung zu besorgen.
Ab in die USA
Früher war die Reiterwelt klein: Es gab zum Beispiel drei umliegende Reitvereine, ein paar Züchter und Privatpferdehalter. Das war alles, was als Beispiel für Haltung und Reiten zu haben war – abgesehen von ein paar Monatsmagazinen und Büchern. Zwangsläufig blieb man länger im eigenen Sumpf stecken. Mit all dessen Vor- und Nachteilen: Intensives Lernen, allerdings hinter Mauern. Inspiration, andere Wege: Fehlanzeige. Wer was anderes lernen wollte, musste große Wege zurücklegen (Linda Tellington-Jones aus den USA holen, oder zu Horseman wie Tom Dorrance in die USA fahren, zum Beispiel).
Ausbildung to go
Heute gibt es für jede Strömung die unterschiedlichsten Foren, facebook-Gruppen und facebook-Fanseiten. Internetseiten, die ganze Fangemeinden generieren und alternative Ausbildungssysteme, die in sich geschlossen funktionieren. Alles ist möglich, und ob man so lange verweilt, bis man tatsächlich erfasst hat, um was es geht, bestimmt der Mensch selbst.
Und das ist das Glück und die Krux zugleich.
Es ist ein Segen, dass es leicht möglich ist, über den eigenen Tellerrand zu blicken.
Doch dies bleibt nur ein Segen, wenn der Mensch fähig ist, es einzuordnen.
Er braucht eine Basis, von der aus er einschätzen kann.
Ansonsten endet es in bloßer Verwirrung. Was man tun kann? Sich dessen bewusst sein. Kein Ausbilder-Hopping in den ersten Jahren seiner eigenen Ausbildung veranstalten. Sich Zeit geben, zu lernen.
Was Ausbilder tun können
Das hier soll kein Plädoyer fürs Lernen mit Scheuklappen sein. Niemand soll weniger Wissen aufsaugen, oder weniger Bücher lesen.
Doch fragt Eure Ausbilder, weshalb sie Dinge auf ihre Art tun, wenn ihr gerade woanders von anderen Methoden gehört habt. Lasst kein ABER im eigenen Kopf unausgesprochen stehen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass Ausbilder heutzutage auch dieses Filtern von Informationen als Teil ihres Jobs begreifen. Und im Dschungel der Informationen begleiten, statt zu verteufeln. Denn genau das müssen Ausbilder leisten: Kompass werden.
Ja, das kostet Zeit und Mühe. Es gibt aber ganz viel: Es sichert zufriedene Kunden. Letztens las ich einen sehr schönen und sehr einfachen Spruch:
Pferde haben Zeit.
Wir können viel von ihnen lernen. Als Reiter und Ausbilder. Das gilt für uns alle.
Als Fundament: Wir haben Zeit. Und es muss Spass machen.
Trainerhobbing nervt und es gibt leider auch ein Überangebot an Leuten die sich so nennen und IHREN Stil celebrieren.
Viele Köche verderben den Brei. Ich war auch lange verwirrt in der Reiterwelt unterwegs aber seit ich weiss welche Richtung Ich will und was mein Pferd gerne tut ist es einfacher. Kurse bei fremden Reitweisen nehme ich nicht, sonst kommen nur wieder Verwirrungsphasen und ich kann nicht schlafen. Mein Pferd, gesund und munter, sowie gut gymnastiziert und reitbar, spiegelt mir die Richtigkeit meines Weges.
Der Artikel ist super und bestätigt mein Denken zielorientiert einen Weg beim reiten zu verfolgen. Bei Problemen über den Tellerrand zu schauen ist wichtig, aber das was funktioniert darf auch so bleiben.
Hi, super Artikel, trifft den Nagel auf den Kopf und ist auf viele andere Bereiche von Be- und Erziehung übertragbar. Ich kann ein Haus mit vielen verschiedenen Zimmern bauen, aber wenn das Fundament nicht tragfähig ist, wird jeder Nagel den ich einschlage zum Risiko für das ganze Haus. Ich finde es erstens schwierig bei den vielen Seminarangeboten die Spreu vom Weizen zu trennen und zweitens das Neue in das vorhandene Wissen zu integrieren. Wie wohl es typisch ist, dass die meisten Menschen das integrieren, was zu ihrem Konzept passt. Ein guter Ausbilder wird seine Lehre nie als das einzig seligmachende darstellen. Es gibt aber einfach Menschen, die weder denken noch einfühlen wollen (hat auch was mit Verantwortung zu tun) und sich einem Guru anschließen, der ein Schweinegeld kostet, sprich sich gut verkaufen kann. Ich habe mich vor 30 Jahren schon gefragt, welche Auswüchse das noch treiben wird. Ich denke da bspw. an Hempfling. Das wirklich schlimme ist doch, dass unsere lieben Vierbeiner das „Neue“ über sich ergehen lassen müssen bis Mensch feststellt, ob es Mist war oder nicht. Denn diese „Verwirrung“ muß sich zwangsläufig auch auf unser Verhältnis zum Tier auswirken. Ein Blick über den Tellerrand ist immer gut, sonst wären wir in der Pferdehaltung heute nicht da wo wir sind und ich glaube das wir Ursula Bruns viel zu verdanken haben. Ich glaube das alles, was eine ganzheitliche Sicht fördert bedenkenswert ist. LG
Liebe Jeanette!
Du sprichst mir aus der Seele! Ich bin 8 Jahre in einem kleinen Reitstall geritten, in dem die Reitlehrerinnen alle paar Monate wechselten. Kaum hatte ich mich an eine gewöhnt, kam schon die nächste. Das war einerseits interessant, weil ich dadurch Einblicke in verschiedene Sparten der Reiterei bekam, aber irgendwann stand ich immer zwischen den Stühlen und dachte mir: Warum muss ich das so machen, wenn ichs doch anders gelernt hab und das für mich mehr Sinn ergibt? Schlussendlich führte das dann dazu, das ich nicht mehr wusste, wie ich mich auf dem Pferd verhalten sollte, wie ich meinen Körper einsetzen konnte, und ich habe mit dem Reiten aufgehört. Schweren Herzens. Hängen geblieben ist bei mir das Centered Riding und darauf basiert auch meine (leider geringe) Basis, auf der ich aufbauen möchte…
Toll geschrieben!
Liebe Grüße,
Sarah
Sehr wichtiges Thema! Bekommt man immer öfter mit, dass einfach mal irgendwas nachgemacht wird ohne zu wissen warum und worauf man vielleicht achten sollte, damit es Sinn macht, was man da tut.Man muss sich ja auch selbst reflektieren können, wo steh ich gerade mit meinem Pferd, was passt vielleicht gerade gar nicht in den eigenen Fahrplan? Wenn man denn einen hat 😉 Leider sind es meist so halbgare Geschichten die dann auch nicht von Erfolg gekrönt sein können und dann vielleicht sogar als „Falsch“ abgetan werden, obwohl sie das vielleicht gar nicht sind. Jeder will heute „die ultimative Lösung“ für alles und vor allem schnell, die kann es nun mal nicht geben. Es gibt so viele gute Wege, aber sie brauchen alle ihre Zeit…. Wieder schön geschrieben von Dir 🙂 lg
Das kenne ich nur zu gut. Früher als Kind bin ich immer mal hier und da in den Ferien geritten. Dann bei meiner ersten Reitbeteiligung war der Unterricht, rückblickend betrachtet, nicht so dolle. Mit Ausbindern, Sperrriemen und Sporen. Mit Anweisungen wie „Reite vorwärts-abwärts.“ und auf die Frage nach dem „Wie?“ kam die Antwort „einfach untertreten lassen.“ Das „Warum?“ wurde mit „weil’s besser ist.“ beantwortet. Mit kaum Grundwissen ging’s dann zur zweiten RB. Hier wurden mir meine Fragen nach dem „Wie?“ und „Warum?“ zwar beantwortet, dafür änderte sich gefühlt alle 2 Monate etwas an der Reitweise.
Jetzt reite ich bei meiner Reitlehrerin seid 7 Jahren nach der Methode des Centered Riding. Ich bekomm auf meine Fragen immer ausführliche und nachvollziehbare Antworten. Ich bin unendlich glücklich, endlich jemanden zu haben, bei dem ich mir ein Basis aneignen konnte. Und wenn ich doch mal Artikel lese die mich nachdenklich machen, dann kann ich meine Reitlehrerin einfach fragen und mit ihr über pro und contra diskutieren.
Den Artikel kann ich nur unterschreiben 😉
Liebe Grüße
Jasmin
Hallo Esther, was für ein wichtiges Fundament! Es ist so leicht gesagt, „wir haben Zeit“. Aber das wirklich zu verinnerlichen ist ganz schön schwer, finde ich.
Liebe Bettina, ja, das stimmt wohl, der Satz „ein guter Ausbilder wird seine Lehre nie als das einzig seligmachende darstellen.“ Nach diesem Kriterium braucht die Welt allerdings noch mehr Menschen mit dieser Souveränität! Bzgl. UB gebe ich Dir absolut recht. Kennst Du den Ursula-Bruns-Nachruf auf dieser Seite? Schau mal, hier: https://alifewithhorses.de/blog/2016/05/09/ursula-bruns-ein-nachruf/
Hallo Sarah, Dankeschön! Ich wünsche Dir viel erfolg auf Deinem Weg! Es dauert eben – auch, den richtigen Weg zu finden, der das Fundament bilden kann.
Liebe Danielle, dankesehr. Ja, sich selbst reflektieren ist auch so ein Ding… sich ehrlich betrachten, aber durchaus bzgl. Videos „Mit den wohlwollenden Augen der besten Freundin“, wie Elaine Butler das mal so schön ausgedrückt hat.
Jasmin, vielen Dank! Noch eine Stimme für das Centered Riding, lese ich! Ich mag Sally Swift auch, tatsächlich jedoch ist sie für mich eine Inspiration, ein ‚dazu‘. Liebe Grüße!