Warum ich nicht reiten kann, aber über die besten Reiter urteile

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So sieht sie aus, meine Arbeit. Hier in der Vorbereitung zu einem Porträt für die Welt am Sonntag, das 2015 erschien. Foto: Thomas Rubel

 

 

Immer wenn ich Kommentare dieser Art unter einem Facebook-Post lese, zucke ich innerlich. Sie erscheinen stets, wenn ein Normalo-Reiter einen Promi-Reiter kritisiert und kommen in diversen Varianten daher, hier mal ein paar:

 

Erst mal selber besser machen!

Hah, ich möchte wetten, Du gehst selbst gar keine Turniere!

Wenn Du das besser kannst, dann poste doch mal ein Reitvideo von Dir!

Ich möchte mal wissen, was DU zuhause reitest!

 

Ich schreibe im Gegensatz zu den Menschen, die mit diesen Sprüchen á la ‚Schuster bleib bei Deinem Leisten’ gemaßregelt werden, nicht hauptsächlich auf facebook, sondern in diversen überregionalen Medien. Ich habe über Weltreiterspiele und über die EM berichtet. Ich schreibe über die führenden Köpfe der Weltranglisten. Neutral, positiv, negativ. So, wie es mir die Recherche nahelegt.

Und jetzt kommt’s: Ich kann nicht reiten.

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Die Deko über dem Bereich, in dem sich Presse und Reiter auf in Aachen treffen. Foto: Klara Freitag

 

Also nicht in dem Sinne reiten, wie es da gezeigt wird. Pferde gehören zu meinem Leben, klar. Ich juchze daheim, wenn ein Außengalöppchen nett klappt und freue mich, wenn ich mal weniger schief sitzend als sonst auf einem Reitvideo aussehe. Beruflich gucke ich mir internationale Grand-Prix-Prüfungen an. Und schreibe dann, für tausende Menschen lesbar, auf, ob das gut war, was ich da gesehen habe.

 

Furchtbar?

Inkompetent?

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Chaman vor dem Start. Foto: Klara Freitag

 

Nein. Völlig okay.

Weil: es hat nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun.

 

Der Literaturkritiker schreibt selten ein Buch, und noch seltener ein gutes. Und doch kann er genial sein für sein Publikum. Der Restauranttester ist meist allenfalls ein hervorragender Hobbykoch (gut, abgesehen von diversen neumodischen TV-Formaten). Und dennoch wissen Fans des Literaturkritikers oder Fans des Restauranttesters deren Urteile einzuordnen.

 

Das funktioniert und ist gut, wenn ein paar Faustregeln eingehalten werden:

 

  1. Seine eigenen Grenzen kennen

Ich kann über nichts schreiben, über das ich nicht noch mehr als 50 Prozent Wissen bereithalte, als man später überhaupt davon im Text lesen kann. Ich muss mir sicher sein, dass meine Beobachtung und meine Recherche stimmt.

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Vierzigtausend sollen es gewesen sein. Foto: Klara Freitag

 

  1. Recherche, Recherche, Recherche

Sich seiner Verantwortung bewusst sein. Hinsehen, oft. Manche Themen schiebe ich über Jahre vor mir her, weil ich den Eindruck habe: da fehlt noch ein Mosaikstein. Mit vielen Menschen sprechen. Auch mit vielen, die später gar nicht in Texten vorkommen. So nah dran kommen ans Thema wie nur möglich – und dann wieder Distanz einnehmen.

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Seinen Job machen. Gut. Egal wo, egal welche Ebene. Foto: Klara Freitag

 

  1. Nicht dazu gehören wollen

Ich bin kein internationaler Reiter. Ich bin kein Drahtzieher im Sportgeschäft. Und doch springen alle Wichtigen um mich herum, wenn ich in ihrem Umfeld recherchiere. Man kennt sich, sieht sich über Jahre. Ich habe Kolleginnen, die in die Szene geheiratet haben, so einige. Und viele von ihnen haben ihren Beruf an den Nagel gehängt. Es geht nur eins von beidem, wenn Du neutral bleiben willst. Du kannst Profi auf Augenhöhe sein – jeder in seinem Metier. Du kannst auch jemanden persönlich mögen – und musst Dich doch in kritischen Momenten immer für das entscheiden, was eine Ahnung von Wahrheit sein mag (nicht weil ich es aus einer Laune heraus so beschließe, sondern weil die Beobachtung und Recherche das ergeben haben). Und das kann richtig blöd sein, denn es gibt so einige Menschen im Reitsportzirkus, die sehr nett und sehr lustig und sehr kumpelig sind – und fürchterlich reiten.
Ohne diese Distanz bist Du vielleicht irgendwann gute Freundin, PR-Vertreterin, manchmal auch Ehefrau. Aber kein Journalist, der seinen Beruf korrekt ausübt.

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Wie war das mit dem schönen Hintern? Das Bild ist nach rein ästhetischen Merkmalen ausgesucht. Wir reden hier nicht über Bemuskelung, Hufe und so weiter. Foto: Klara Freitag

 

  1. Vor dem Können steht das Wissen

Dieser Reiterspruch trifft so sehr für diesen Beruf zu. Hunger nach Wissen ist absolut essentiell. Nur: Man wird nur besser in dem, was man ständig übt und tut. Ich verbringe die meiste berufliche Zeit am Rechner, unterbrochen von Reisen zu Ausbildern, Interviewpartnern und Events. Oder ich lese, um zu lernen. Aber mein Handwerkszeug schärfen, das tue ich mit der Tastatur. Gleichzeitig lerne ich wahnsinnig viel über Pferde und das Reiten. Dennoch: wer im Sattel nur eine Stunde am Tag verbringt, der mag viel über das Reiten wissen, aber das handwerkliche Reiten ist und bleibt das eines Amateurs. Das, was ich weiß, und das, was ich praktisch kann, divergiert extrem. Damit muss ich leben – und das kann ich, weil ich meinen Beruf liebe. Schreiben ist mein Sprachrohr in die Welt.

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Auf der Geländestrecke. Höhepunkt in Aachen, für mich auf jeden Fall. Foto: Klara Freitag

 

5. Mitschwingen

Das einzige, was ich mir nicht anlesen kann, was ich nicht beobachten kann, ist das Gefühl. Was ich nicht selbst erlebe, muss ich mir erzählen lassen. Ich behaupte: ich kann von jedem, der offen genug ist, mit mir ein intensives Gespräch zu führen, hinterher in Worte fassen, was dieser Mensch im Sattel oder in der Ausbildung mit seinen Pferden erlebt. Das funktioniert durch viel Empathie, sich einlassen können und eben einer besonderen Beziehung zur Sprache. Ich erlebe es oft, dass Menschen, mit denen ich zum ersten Mal gesprochen habe, hinterher verdutzt sind, weil sie zum ersten Mal ihre Gedanken zur Pferdeausbildung geordnet auf einem Blatt Papier sehen. Und überrascht sind. Das sind sehr schöne Momente.

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Ebenfalls jemand, der seinen Job macht. Mit dem Fahrrad sind sowohl die Hostessen in Aachen unterwegs, als auch der Turnierleiter. Der fährt aber ein abgeschrammtes weißes Modell. Foto: Klara Freitag

 

6. Positiv berichten

Unter Pferdeleuten höre ich oft: „Wir bräuchten eine Berichterstattung, die mal Positives vom Reiten erzählt!“  Ich bin nicht zuständig für ein positives Bild. Nennt man nämlich PR, auch ein Job, aber nicht meiner. Ich bin zuständig für den Ist-Zustand und das Erzählen von dem, was gerade passiert. Das beinhaltet das mit-dem-Finger-auf-etwas-zeigen genauso wie das Herausstellen guter Sachen.

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Im Moment sein. Gilt für alle, die das sind. Foto: Klara Freitag

 

7. Maßstab König Pferd

Es ist abgegriffen, es sagen so viele Menschen über sich, aber es ist nun mal so: Der Maßstab ist das Pferd. Wie sieht das Auge aus? Stressanzeigen? Zufrieden? Darum geht’s, egal in welcher Sparte. So, wie der legendäre Moderator Hans-Heinrich Isenbart stets sagte: „Und vergessen Sie die Pferde nicht“.

 

 

Vielleicht fragt sich der ein oder andere, was trotz dieser ganzen Punkte jemanden dazu qualifiziert, über eine Sportart zu berichten. Das Ding ist: Es gibt kein starres Ausbildungssystem, keine Prüfungen. Es ist eine eher natürliche Selektion: die Chance haben, anfangen, arbeiten und sich bewähren. Wieder gefragt werden, weitermachen.

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Am Ende des Tages musst Du Dir selbst im Spiegel gegenüberstehen und in die Augen sehen. Alles andere: vergänglich. Foto: Klara Freitag

 

Mein erstes Bewerbungsgespräch bei einem Reitsportmagazin war im Jahr 2000. Ich saß da, um eine Praktikumsstelle zu bekommen, und sollte erzählten, was mir wichtig wäre an diesem Beruf und in diesem Sport. Ich sagte: „Ich will nicht mein persönliches Ausbildungskonzept propagieren. Ich will erzählen und weitergeben, was Ausbilder lehren.“ Das könnte ich heute noch so sagen. Zu entscheiden, wer in einem Text zu Wort kommt und wer nicht, lenkt natürlich auch eine Menge. Aber da sind wir wieder bei einem der oberen Punkte: beobachten, sprechen, recherchieren. Ich hatte auch meine Griffe ins Klo. Ausbilder, die ihre eigenen Ansprüche nicht erfüllen, mehr Schein als Sein. Ausbilder, von denen man Jahre später ein ganz anderes Gesicht zu sehen bekommt.

 

Und jetzt noch mal zurück zu den Internetkönigen und ihren scharfen Meinungen: Es ist erlaubt. Jeder, der in einem Restaurant essen war, darf hinterher sagen, ob es ihm geschmeckt hat oder nicht.  Und genauso verhält sich das mit Turnierplätzen.

P.S.:

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Ach ja, da war ja noch etwas: Die Nominierung zum Silbernen Pferd, DEM Medienpreis für Journalisten im Reitsport! Wurde auf dem CHIO Aachen verliehen, ich war nominiert als eine von drei Journalistinnen im Bereich Print. Gewonnen hat ein Beitrag aus „Die Zeit“, ein Porträt des Fotografen Jaques Toffi von Anna von Münchhausen. Klar, ich hätte auch gern das silberne Ding gehabt, statt ein Plakat hinter Glas. Egal – wer weiß, was  noch so kommt! Es war dennoch ein richtig toller Abend! Die kleine Pippi Langstrumpf neben mir ist verkleidet, weil das Motto der Eröffnungsfeier Schweden war. Wir sind in der Kutsche im großen Stadion umher gefahren und haben wie die Queen (oder das Karnevalsmariechen, hust) gewunken. Schön!

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