Daumendrücken! Heute Abend wird >Das Silberne Pferd< verliehen. Ich bin nominiert- und zwar mit diesem Text hier, der im Vorfeld der EM 2015 entstanden ist. Es ist der größte Preis der Szene! Vergeben wird er vom Deutschen Reiter- und Fahrerverband und dem ALRV, das ist der Veranstalter des Turniers CHIO Aachen. Ganz, ganz besonders freut es mich, dass es ein kritischer Text ist. Die Dressurausbilder Dr. Britta Schöffmann und Jan Nivelle waren so mutig, in diesem Text in Zitaten auch Kritik am System zu üben. Das ist selten & großartig! Danke den beiden für ihren Mut! Yeah!
Warum ich gerade den eingereicht habe: Der Text spricht viele Punkte an, die später auf der EM diskutiert wurden und zeigte so schon vorab eine gute Einschätzung von Lage & Chancen des Dressursports. Zugleich wird einem nicht-reitendem Publikum erklärt, worum es geht, wenn sich für die Augen des Laien einfach nur Pferde auf Sand hin- und her bewegen. Unterstützt wird der Text mit Illustrationen von Maria Mähler (www.maria-maehler.de), die erklären, wie eine korrekte Piaffe aussehen soll – und wie eben nicht. Die Idee von Text & Bild: Dass unser Fachchinesisch eben keins mehr ist!
Hier der Text zum Nachlesen:
Totilas‘ Schatten
Beinahe spielerisch berühren die Hufe von Totilas den Boden. Jeder Muskel ist markant. Der schwarze Hengst verführt die Zuschauer allein durch seine Ausstrahlung. Mehr als ein Jahr musste es verletzt pausieren, das Wunderpferd, das Millionen kostete. Es hieß, er habe sich selbst gegen ein Überbein getreten. An diesem Sommertag ist von all dem nichts mehr zu sehen. Totilas siegt, und sein Reiter Matthias Alexander Rath strahlt. Die beiden erhalten Traumnoten und lösen ihr Ticket für die Heim-Europameisterschaften in Aachen (11.–23. August). Totilas kehrt ins deutsche Nationalteam zurück. Doch mit ihm auch große Probleme.
Fünfzehn ist Totilas mittlerweile. Wenn alles gut läuft, hat er noch einmal die Chance, zu Olympischen Spielen zu fahren. „Er hat nach wie vor sein Bewegungspotenzial, eine wahnsinnig gute Piaffe-Passage-Tour“, schwärmt Reiter Rath. Gerade darüber wird hinter den Kulissen heftig diskutiert. Denn die Reitweise, mit der Totilas trainiert wird, ist umstritten.
Es geht um Bewertungsmaßstäbe der Punktrichter und den dadurch entstehenden Druck in der Pferdeausbildung. Amateure, Profis, Ausbilder, Liebhaber und Breitensportler, die ganze Szene ist sensibilisiert. Zuschauer stehen am Rande der Turnierplätze und beobachten jede Bewegung der Tiere. Ob das Pferd den Hals richtig trägt. Ob der Reiter zu stark an den Zügeln zieht. Ob er seine Schenkel unfair einsetzt, es mit Sporen pikst. Fotos davon werden auf Facebook, Instagram und in Internetforen geteilt.
„Die Menschen möchten keinen Druck in der Pferdeausbildung sehen“, sagt Ausbilder Jan Nivelle, „das erzürnt sie. Und man kann ja auch Pferde ausdrucksstark und spektakulär zeigen, ohne Druck anzuwenden.“ Der Ausbilder aus Mönchengladbach kennt die Szene. Er war selbst Trainer der spanischen Nationalmannschaft, heute unterstützt er einzelne Spitzenreiter, auch seine Schützlinge nehmen an der EM in Aachen teil.
Dass Matthias Rath gelernt hat, Totilas zu leiten, ist vermutlich das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Sjef Janssen. Erst seit der ihm hilft, läuft es mit Reiter und Pferd. Der niederländische Trainer aber gilt als Inbegriff der sogenannten Rollkur. Bei ihr wird der Hals des Pferdes stark gedehnt, das Pferdemaul in Richtung Brust gezogen. Janssen, der das Wort Rollkur nicht mag und sein Training „Low-Deep-Round“ nennt, wird dafür heftig kritisiert: Seine Methode sei nicht tiergerecht. Es gibt zahlreiche Studien dazu. Die meisten belegen, dass eine Rollkur dem Pferd Schmerzen zufügt, aber es gibt auch Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen. Unbestritten hingegen ist sein Erfolg. Janssen hat viele Reiter und Pferde in den Grand-Prix-Sport gebracht.
Dass Sjef Janssen nun das deutsche Vorzeigepferd im Nationalteam trainiert, ist eine Kehrtwende. Deutschland gilt als die Nation, die auf die Einhaltung der klassischen Lehre zugunsten der Pferde pocht, allen voran das in Reiterkreisen prominente Bündnis Xenophon und der deutsche Berufsreiterverband. Beide kritisieren Janssen scharf.
Was Trainer wie Janssen vor allem schaffen: Pferde spektakulär aussehen zu lassen. Das gelingt ihnen durch ein enormes Anheben der Vorderbeine, es erzeugt viel Ausstrahlung. Da möchten auch andere mithalten. Wer es kann, macht das ohne Druck fürs Pferd. Wer es nicht kann oder wem der konventionelle Weg zu lange dauert, der arbeitet eben mit Druck.
Kürzlich machte in den sozialen Netzwerken ein furchtbares Bild von Rath und Totilas die Runde. Aufgenommen in Hagen auf dem Vorbereitungsplatz. Kurz bevor die beiden ihre Traumnoten bekamen. Der Hengst strampelt vorn mit großen Bewegungen, hinten kommt er mit den Beinen nicht mit, den Kopf trägt er zu tief. Alles nicht gut für die Biomechanik eines Pferdekörpers. Im Hintergrund war auf einer Bandenwerbung zu lesen: „… weil es funktioniert“. Viele Menschen empfanden das Bild als furchtbare Zustandsbeschreibung und teilten es.
Das geht sehr schnell im Netz, manchmal etwas vorschnell. Erst in der vergangenen Woche traf es Jessica von Bredow-Werndl, eine der Reiterinnen, die durch besonders feines Reiten auffällt. Auf einem Foto war zu sehen, dass das Pferd zu eng am Hals gehalten wurde, es war mit der Nase hinter der Senkrechten. Die Empörung war groß. Die Reitszene ist empfindlich geworden. Nur bedeuten solche unschönen Fotos nicht automatisch, dass ein Reiter schlecht ist. Erst die Häufigkeit solcher Momentaufnahmen hinterlassen einen Eindruck. „Mich regt das wahnsinnig auf, wenn die Leute zu Fehlerguckern werden und nicht mehr das Gesamtbild anschauen“, sagt Jan Nivelle. Der Ausbilder ist jemand, der sich über die Entwicklung der Dressur Gedanken macht. Der für eine Pferdeausbildung ohne Druck steht.
Natürlich gibt es feinfühlig reitende Sportler auf höchstem Niveau. Reiterinnen und Reiter der neuen Generation haben ein neues Erfolgsmotto: Wir möchten zeigen, dass man ganz oben reiten kann und gut zum Pferd ist.
Schwarze Schafe aber werden selten geoutet. Nur wenige wagen es, das System, die Punktrichter, andere Trainer oder gar konkurrierende Reiter zu kritisieren. Jan Nivelle ist einer dieser wenigen, die für klare Worte stehen. Er sieht Entwicklungen, die ihm nicht gefallen. Etwa die Bewertung der Piaffe. Vereinfacht ausgedrückt, setzt das Pferd dabei seine Füße trabähnlich auf und nieder, und bewegt sich dabei kaum von der Stelle. Diese Lektion gehört zu den schwersten überhaupt. Nivelle: „Piaffen, die schnell und energisch sind, bekommen mehr Punkte als Piaffen, bei denen man dem Hinterbein die Zeit gibt, sich zu beugen.“ Wer also nach den Lehrbüchern ausbildet, hat das Nachsehen. „Man muss sich fragen: Sind wir da auf dem richtigen Weg? Wird das Energische übertrieben?“, sagt Nivelle. „Den Reitern bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder kann man die Bewertung kritisieren und man bekommt die Quittung. Oder man passt seine Reiterei der Bewertung an.“
In der Dressur gibt es wie in vielen anderen Sportarten auch Modeerscheinungen. Einst wurden zum Beispiel die Traversalen, eine Seitwärtsbewegung des Pferdes, plötzlich mit großen Tritten gezeigt. Heute gehört das zum Standard. Spektakel ist gefragt, weniger Korrektheit. Frank Kempermann ist Turnierleiter in Aachen und Vorsitzender des Dressurkomitees des Weltverbandes der Reiterei (FEI). Er fordert: „Unsere Dressurreiter müssen spektakulär sein. Wenn die Richter hohe Noten geben, wenn Pferde Stars sind, und die sorgen für volle Stadien, dann ist der Veranstalter froh.“
Das sieht nicht jeder so. Ausbilderin Dr. Britta Schöffmann, bekannt durch ihre zahlreichen Lehrbücher, kritisiert: „Die Reiterei immer TV-tauglicher zu machen, daran krankt der Sport. Ob etwas gut oder nicht gut bewertet wird, wird sich irgendwann daran messen, ob ich Sendezeit dafür bekomme oder nicht.“ Sie stellt damit die Neutralität der Richter infrage. Vermutlich wünscht sich auch deshalb die Mehrheit der Aktiven, dass Richter stärker als Hüter der klassischen Lehre auftreten sollten. Frank Kempermann weiß das, sagt aber, er sei zufrieden mit seinen Richtern, sie würden viele Schulungen durchlaufen: „Mein Anliegen ist es zu überlegen: Wie kann man den Sport besser verkaufen? Da muss man auch mal eine Bombe reinwerfen, etwas zum Diskutieren bieten.“
Als eine solche Bombe hat sich sein Vorschlag entpuppt, die Kür zu verkürzen. Die Aktiven waren entzürnt, die Funktionäre begeistert. Der Vorschlag wurde dennoch verworfen. Um Kempermanns leidenschaftslose Marketingstrategie zu verstehen, muss man auch den Druck bewerten, unter dem eine Turnierveranstalter anno 2015 steht: Immer mehr Reiter verlassen traditionelle Turniere und starten lieber dort, wo es viel Geld zu verdienen gibt. Das ist überwiegend in Asien und in arabischen Ländern der Fall. Die Aachener schaffen es seit Jahren, ihr Turnier stark zu halten, was wirtschaftlich nicht leicht ist. Kempermann möchte die Reiterei in kleinen Schritten auf das moderne Zeitalter einschwören. Er lässt sogar ein IT-System testen, das die Bewertung von Küren gerechter machen soll.
Aachen bietet seinen Zuschauern eine eigene EM-App, mit der sie Richter spielen dürfen und Noten vergeben können. Das hat natürlich keine Konsequenz auf das tatsächliche Ergebnis, aber es macht Spaß und ist modern. Die Sorge, die Dressur könnte eines Tages aus dem olympischen Programm gestrichen werden, vertreiben Menschen wie Kempermann auf diese Art.
Eines darf dabei jedoch nicht durch den Rost fallen: die Liebe zum Pferd. Es wäre eine Tragödie, wenn gerade die Reiter, die auf eine Ausbildung ohne Druck setzen, durch ein modernes System verlieren würden. Es wäre ein großartiges Zeichen, in Aachen einen zusätzlichen Preis für besonders faires Reiten auf dem Vorbereitungsplatz zu vergeben. Kempermann findet die Idee charmant, er sagt, er werde darüber nachdenken.
In den kommenden Tagen wird Totilas sein Bestes geben. Matthias Rath möchte mit ihm eine EM-Medaille gewinnen. Die Skepsis wird ihn begleiten. Möglicherweise sogar bis zu den Olympischen Spielen nach Rio.